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Daniel Bensaïd

Politik denken. Interviews. Aus dem Französischen von Elfriede Müller

Hamburg: LAIKA Verlag 2015 (LAIKAtheorie); 53 S.; 9,80 €; ISBN 978-3-944233-19-2
Der Band enthält zwei Interviews mit dem politischen Philosophen Daniel Bensaïd (1946‑2010), den Fred Hilgemann, der Bensaïd zweimal im Café Charbon in der Pariser Rue Oberkampf zu Gesprächen traf, als „einen ungewöhnlich zugewandten Menschen“ (7) mit einer ausgeprägten Empathie beschreibt. Bensaïd, Mitglied in der Ligue Communiste Révolutionnaire (LCR), erscheint ihm als ein politischer Aktivist, als einer, der nie aufgehört hat, sich gegen soziale Ungleichheit und Angst sowie die Individualisierung, sprich: gegen die Fragmentierung moderner Gesellschaften zur Wehr zu setzen. Der Generalstreik aus dem so berüchtigten Mai 1968 ist für ihn auch heute noch ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung, zumal „die Gründe zu revoltieren [,..] zahlreicher“ (8) geworden seien. Um dieses zentrale Moment – die Bedeutung von 68 für die französische, für die europäische Linke – dreht sich das erste Interview, das Hilgemann im Jahr 2008 führte. Neben dem Generalstreik und der Algerienfrage geht es darin auch um Besaïds ganz persönliche Rolle im Rahmen der Proteste. Dass er diesen „Rausch“ (9), der für viele kaum mehr war als ein Ausdruck „jugendlicher Ungeduld“ (12), maßgeblich mitgestaltet hat, steht außer Frage. Ebenso steht außer Frage, dass 68 kein Moment der Politisierung im eigentlichen Sinne war: die Politisierung ging, zumindest was Bensaïd selbst anbelangt, den Ereignissen weit voraus. Spannend ist darüber hinaus die Frage nach der – darf man sagen: politischen – Gewalt. Der dreiwöchige Generalstreik hat Frankreich und in Teilen auch Europa verändert; er hat den Unterdrückten – darin folgt Bensaïd Sartre und Fanon – eine Möglichkeit zur „positiven Subjektivierung“ (13) verschafft. Ist das dann legitime Gewalt? – Im zweiten Interview, das aus der argentinischen Zeitschrift „Praxis“ vom Mai 2006 stammt, geht es um die gegenwärtigen Möglichkeiten antikapitalistischer Stellungnahmen im Zeitalter der Globalisierung. In ihrer neoliberalen Perversion stelle diese, so Bensaïd, das „gesamte politische Paradigma der Moderne auf den Kopf“ (40), insofern sie etwa Territorialität oder Souveränität als politische Konzepte zunehmend erodiert. Dem gegenüber steht die „Vielfalt der sozialen Bewegungen“, die jene Spannung zwischen der „Logik der Macht und dem Begehren der Emanzipation“ (53) aufrechterhalten wird, die Bensaïd, Foucault und andere immer wieder betont haben. Vor diesem Hintergrund darf man auf die „langsame Ungeduld“ (9), Bensaïds nunmehr (2015) auch auf deutsch erscheinende Autobiografie, sehr gespannt sein.
{LEM}
Rubrizierung: 5.422.232.61 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Daniel Bensaïd: Politik denken. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38684-politik-denken_45723, veröffentlicht am 30.07.2015. Buch-Nr.: 45723 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken