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Konrad Paul Liessmann (Hrsg.)

Schuld und Sühne. Nach dem Ende der Verantwortung

Wien: Paul Zsolnay Verlag 2015 (Philosophicum Lech 18); 301 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-552-05719-7
Die Beiträge des zwischen Gesellschaft, Ethik und Politik angesiedelten Sammelbandes kreisen um die Frage der Verantwortung des freien Menschen in der Gesellschaft, eine Frage, die weit komplexer ist, als dies auf den ersten Blick scheinen mag. In einer Zeit, in der wissenschaftliche Forschung in der Lage ist, nicht nur menschliches Denken und Handeln, sondern auch menschliches Sein – man denke an die Genetik – als solches zu manipulieren, verunklart sich letztlich auch die Frage nach der Übernahme von Verantwortung zunehmend. Konrad Paul Liessmann weist in seinem Aufsatz überdeutlich auf diesen Umstand hin, wenn er die Begriffe Schuld und Sühne gegenwartsbezogen zu konturieren versucht. Gerade bei dem so zentralen Begriff der Schuld geht es demnach um viel mehr als um die Anerkennung sowie die damit verbundene Sanktionierung abweichenden Verhaltens. „Schuld, das kann all das meinen, für das man schuldig im Sinne einer Urheberschaft ist.“ (7) Wenn aber gar nicht mehr klar ist, wer inwieweit Urheber von was ist, wer vermag dann überhaupt noch schuldig zu werden? Ist das alles ganz einfach, wenn, wie Liessmann konzediert, „der moderne Mensch [...] ein Verantwortungskünstler und Schuldverschiebungsstratege“ (9) ist? Im Gegenteil – ohne die Begriffe Freiheit und Verantwortung zu diskutieren, sei die Schuldfrage, so Liessmann, verkürzt. Freiheit impliziere immer, Dinge tun zu können, die im Zweifelsfall auch einem selbst schaden können; Verantwortung sei die Pflicht, Rechenschaft abzulegen. Letztere als Pflicht auch anzunehmen, sei im Endeffekt eine normative Forderung von gesamtgesellschaftlicher Reichweite. Harald Welzer geht in seinem Beitrag der politikwissenschaftlich nicht minder relevanten Frage nach, in welcher Konfiguration totale Herrschaft im 21. Jahrhundert auftritt. Welzer führt dabei keine klassische Typologie des Totalitarismus vor, vielmehr fragt er nach einer Haltung: „Worum es mir geht, ist die Veränderung der Wahrnehmung und der Deutung […] all dessen, was richtig und falsch, was gerecht und ungerecht ist.“ (173) Wie konkludent die daraus entwickelte Argumentation Welzers dann erscheinen mag, mit der er angesichts des gegenwärtigen Wachstumswahns zur Abkehr, zum Nicht‑Einverstanden‑Sein aufruft – angesichts der zunehmenden, irreversiblen Umwelt‑ und Naturzerstörungen eine sehr berechtigte Forderung – sei den hoffentlich zahlreichen Leser_innen des Bandes überlassen. Die Beiträge gehen zurück auf das Philosophicum Lech, das im September 2014 zum 18. Mal stattgefunden hat.
{LEM}
Rubrizierung: 5.15.425.44 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Konrad Paul Liessmann (Hrsg.): Schuld und Sühne. Wien: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38714-schuld-und-suehne_47042, veröffentlicht am 06.08.2015. Buch-Nr.: 47042 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken