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Frigga Haug

Der im Gehen erkundete Weg. Marxismus-Feminismus

Hamburg/Berlin: Argument 2015; 384 S.; brosch., 24,- €; ISBN 978-3-86754-502-0
Um Frigga Haugs Buch in jeglicher Hinsicht als bemerkenswert zu empfinden, muss man nicht einmal zwangsläufig an Feminismus‑ und/oder Marxismusforschung interessiert sein. Die Autorin durchläuft von der ersten bis zur letzten Zeile einen Weg der Selbsthinterfragung und ‑kritik: Zu diesem Zweck gräbt sie in chronologischer Reihenfolge zahlreiche eigene Aufsätze aus rund 45 Jahren aus, lässt diese aber nicht unkommentiert stehen, sondern liest sie erneut, baut sie in eine autobiografische Erzählung ein und nimmt so ihre Leserschaft mit auf eine spannende – persönliche wie politische – historische Zeitreise. Damit verlässt sie den – wiederholt bei sich selbst konstatierten – „Schutzraum“ (30), in dem sich, vermittelt über vermeintlich erkenntnisproduzierende begriffliche Abgrenzungen, selbst die revolutionärsten sozialwissenschaftlichen Disziplinen oft eher gegen die komplexe Realität immunisieren, statt sich ihr zu öffnen. Das ist nicht nur löblich – zugleich ertappt man sich wiederholt dabei, eigene wissenschaftliche Wahrheiten kritisch zu hinterfragen. Nun ist das Buch natürlich nicht nur ein autobiografisches und zeithistorisches Dokument, sondern legt inhaltlich Zeugnis von einer Disziplin ab, deren Protagonistin Haug seit Jahrzehnten ist. „Ist es am Ende notwendig, extra zu betonen, dass ich mir einen Feminismus ohne Kritik der kapitalistischen Produktionsweise ebenso wenig vorstellen kann wie einen Marxismus, der die Kritik der Geschlechterverhältnisse nicht einbegreift?“ (350), fragt die Autorin im vorletzten Kapitel. Dies schließt auch die Kritik an einer gewichtigen feministischen Strömung ein, die sich in ihrem Kern auf ‚Männerhass‘ und/oder weibliche Bedürfnisbefriedigung konzentriert und damit „die Frauenbewegung schon in ihren Anfängen entpolitisiert, bevor sie politisch mächtig werden“ (41) kann. Umgekehrt erfordert es die Offenheit, sämtliche Lebensverhältnisse prinzipiell mitdenken zu können, was vor allem auch Alltags‑ und Arbeitsforschung für Haug zu einem wichtigen Thema werden ließ. Das allein genügt jedoch lange nicht: Über das theoretische Handwerkszeug hinaus, so argumentiert die Autorin unter Rückgriff auf die Marx'schen Feuerbachthesen, kommt es nämlich gleichermaßen darauf an, „‚den Feind' in sich zu denken und daher es zu wagen, ‚Selbstveränderung und Veränderung der Umstände‘ [...] als ‚revolutionäre Praxis‘ zusammenzudenken" (43). Wie die Kombination beider Perspektiven gelingen kann, demonstriert Haug in beeindruckender Weise.
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Rubrizierung: 2.272.365.332.222.23 Empfohlene Zitierweise: Björn Wagner, Rezension zu: Frigga Haug: Der im Gehen erkundete Weg. Hamburg/Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38800-der-im-gehen-erkundete-weg_47155, veröffentlicht am 27.08.2015. Buch-Nr.: 47155 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken