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Marie Sophie Graf

Die Inszenierung der Neuen Armut im sozialpolitischen Repertoire von SPD und Grünen 1983-1987

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2015 (Moderne Geschichte und Politik 27); 204 S.; geb., 49,95 €; ISBN 978-3-631-65509-2
Magisterarbeit München; Begutachtung: H. G. Hockerts, W. Süß. – Gesellschaftliche Gegebenheiten und Probleme liefern die Muster ihrer eigenen Deutung nicht mit. Deshalb sind wahrnehmende und bewertende Äußerungen über soziale Phänomene oft nicht auseinander zu halten. Zu den wichtigsten Interpreten gesellschaftlicher Wirklichkeit zählen zweifellos politische Parteien. Idealerweise liefern sie sich einen Streit darüber, ob und wie ein sozialer Umstand politisch bearbeitet werden muss. Mit der Art und Weise, mit der die SPD und die Grünen Mitte der 1980er‑Jahre die „Neue Armut“ aufgenommen, befeuert oder umgedeutet haben, beschäftigt sich Marie Sophie Graf. Sie geht dabei mit Georg Simmel von einem relationalen Armutsverständnis aus. Als Maßstab für Armut gilt somit nicht allein ein substanzieller Mangel, sondern vielmehr die gesellschaftlich artikulierte Notwendigkeit, nach der eine Gruppe Unterstützung erhält oder erhalten sollte. Entsprechend sei das Neue an der Neuen Armut zuvorderst im Wandel der zu unterstützenden Gruppen zu suchen. Die entsprechende Auseinandersetzung mit dem Armutsbegriff und die Kontrastierung mit der Empirie der späten 1970er‑ und frühen 1980er‑Jahre finden bündig im zweiten Kapitel statt. Für das dritte und vierte Kapitel, in dem es um die Armutsdeutung und die entwickelten Repräsentationsansprüche der SPD und der Grünen geht, greift die Autorin auf eine beachtliche Zahl an Dokumenten und Archivmaterial zurück. So kann sie zeigen, dass die SPD die Redeweise von der Neuen Armut zunächst zögerlich aufgriff, um sie dann dem bestehenden Mustern lohnarbeitszentrierter Deutung von Armut einzuschreiben. Den Grünen diente die Neue Armut dagegen als Referenz, um – etwa mit Hilfe des Claims des garantierten Grundeinkommens – ein avantgardistisches und progressives Image zu pflegen. Erfreulich ist, dass Graf der parlamentarischen Auseinandersetzung einen hohen Stellenwert beimisst: So zeigt sich, dass der hohe programmatische Aufwand der Parteien im auffälligen Gegensatz zu deren (außen‑)kommunikativen Bemühungen steht. Bei der SPD wie auch bei den Grünen spielte die Armutsthematik etwa im Wahlkampf eine untergeordnete Rolle – ein Zusammenhang, dem für die Gegenwart ebenfalls nachgegangen wird (siehe Buch‑Nr: 46596 und 47423). Die Parallelen zur gegenwärtigen Bearbeitung sozialer Ungleichheit sind kaum zu übersehen. Deshalb dürfte die Lektüre für all jene interessant sein, die sich mit der Debatte um Prekarität beziehungsweise Exklusion oder den Modi politischer Vertretung beschäftigen.
{HCM}
Rubrizierung: 2.3132.3312.3332.342 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Claas Meyer, Rezension zu: Marie Sophie Graf: Die Inszenierung der Neuen Armut im sozialpolitischen Repertoire von SPD und Grünen 1983-1987 Frankfurt a. M. u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38801-die-inszenierung-der-neuen-armut-im-sozialpolitischen-repertoire-von-spd-und-gruenen-1983-1987_47227, veröffentlicht am 27.08.2015. Buch-Nr.: 47227 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken