Allzeit bereit. Die neue deutsche Weltpolitik und ihre Stützen
Die Aufforderung des deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck, Deutschland müsse zukünftig mehr außen‑ und sicherheitspolitische Verantwortung übernehmen, ist viel diskutiert worden. Jörg Kronauer vermutet hinter der durch deutsche Think Tanks wie den German Marshall Fund (GMF) und die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) maßgeblich mitgestalteten Debatte um die Zukunft der deutschen Außenpolitik eine „Kampagne für die neue deutsche Weltpolitik“ (9). Dabei gehe es um „die Bestrebungen Berlins, nach Möglichkeit ‚auf Augenhöhe’ mit den USA zu gelangen [...] und um den Durchbruch Deutschlands zur offen dominierenden Macht innerhalb der EU“ (8). Die EU diene Deutschland nach Kronauer dabei als Mittel zur Weltmacht, der europäische Einigungsprozess als Weg zur Parität mit den USA. Demgegenüber stehe allerdings das transatlantische Lager, das mit Vehemenz den Erhalt des Bündnisses mit den USA fordere. Neben einer Betrachtung der deutschen Wirtschaftsinteressen, die zunehmend durch strategische Erwägungen zur langfristigen Sicherung der Rohstoffversorgung dominiert seien, liefert Kronauer auch ein Kapitel, in dem er die deutsche Landschaft von Think Tanks und bekannten parteinahen politischen Stiftungen und deren Aktivitäten kartografiert. Ist dies im Grunde eine schlichte Faktenzusammenstellung, so geht er für einige Beispiele auf die Weltkriegsbiografien der Gründer ein – hierdurch soll wohl die Zwielichtigkeit von für die jeweiligen Institutionen maßgeblichen Persönlichkeiten unterstrichen werden – oder liefert kurze episodenhafte Ausschnitte aus deren Arbeit, die allesamt als Beispiele erfolgreicher Einflussnahme herhalten. Vitali Klitschkos von der Konrad‑Adenauer‑Stiftung (KAS) unterstützte UDAR‑Partei wird hier prominent als „Schützling einer deutschen Parteinahen Stiftung“ angeführt, die „in den gewaltsamen Sturz einer gewählten Regierung involviert war“ (157). Den Abschluss der Beweisführung zu Deutschlands weltpolitischer Ambition, die smoking gun, stellen fünf regionale Fälle von Einflussnahme dar. Hier sei nur die angebliche Billigung des Westens der Unterstützung von Al Kaida durch Saudi Arabien im Sinne einer „Salafistenförderung“ (202) genannt, die für den Westen erst dann nicht mehr hinnehmbar gewesen sein sollte, als sie sich in Form des Islamischen Staates gegen ihn gewandt habe. Vor diesem Hintergrund muss Kronauers Einflussanalyse und These vom Elitenkonsens sich mindestens die Frage gefallen lassen, ob sie nicht, genauso wie die Selbsteinschätzung vieler der portraitierten Akteure, Gestaltungswillen und ‑macht beziehungsweise –ohnmacht und damit auch Anspruch und Wirklichkeit durcheinanderbringt.