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Peter Hallama

Nationale Helden und jüdische Opfer. Tschechische Repräsentationen des Holocaust

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Schnittstellen. Studien zum östlichen und südöstlichen Europa 1); 368 S.; 64,99 €; ISBN 978-3-525-30073-2
Geschichtswiss. Diss. LMU München; Begutachtung: M. Schulze Wessel, M. Brenner. – Seit der Revolution 1989 habe sich der Blick Tschechiens auf den Holocaust zweifelsohne gewandelt, schreibt Peter Hallama, sowohl in der offiziellen Haltung des Staates als auch durch eine allgemeine „‚Enttabuisierung‘ des Holocaust“. Der Blick richte sich nun eher auf die tatsächliche Zahl der jüdischen NS‑Opfer, die zuvor jahrzehntelang „in der Zahl der 360.000 ‚tschechoslowakischen‘ Opfer“ (311) verschleiert worden sei. Auch werde alles Jüdische – zuvor verboten und verschwiegen – wieder beachtet. Aber wie tief reicht diese auf den ersten Blick bemerkenswerte Veränderung? Hallama erkennt bei einem genaueren Hinsehen „auch heute noch einen ethnisch wie geographisch engen Blick“ (321), gesellschaftliche Einstellungen „erweisen sich gegenüber politischen Zäsuren als überraschend beständig“ (320). Diesen Grundströmungen des politischen Gedächtnisses Tschechiens in Bezug auf den Holocaust forscht er an „thematischen Problemfeldern“ (13) orientiert nach. Angelehnt an Foucault gelingt es ihm dabei wie beabsichtigt, aus verschiedenen Quellen – Museen, geschichtswissenschaftliche Beiträge, Memoirenliteratur, Filme etc. – „Kontinuitäten und Verschiebungen“ (26) im Diskurs über den Holocaust herauszufiltern. Der erste Teil ist dabei einem Themenkomplex gewidmet, der „sich wie ein roter Faden durch die Arbeit“ zieht: „die Frage der Unterordnung der Shoah unter die Kriegsgeschichte, ja ihre Einverleibung in die Geschichte der Unterdrückung der tschechischen Nation“ (33). Als Fallbeispiel dient die Repräsentation von Krieg, kommunistischem Widerstand und Judenverfolgung nach 1945 in Theresienstadt. Das Gedenken an die jüdischen Opfer wurde hier, wie Hallama zeigt, lange buchstäblich an den Rand gedrückt, die Einzigartigkeit des Holocaust passte nicht zur Heroisierung von widerständischen Arbeitern im Kontext der antifaschistischen Ideologie. Auch im zweiten Teil über Repräsentationen des Holocaust tritt am Beispiel der Erinnerung an das KZ Mauthausen die damit verbundene Abwertung der jüdischen Opfer deutlich hervor. Ihre Darstellung „diente folglich dazu, einen Kontrast zu den solidarischen, tapferen, kräftigen und zuversichtlichen Tschechen zu bilden“ (164). Mit der Intervention im August 1968 setzte zudem eine antisemitische Kampagne ein, die, wie im dritten Kapitel gezeigt wird, lange andere Versuche, die Marginalisierung der jüdischen Opfer zu beenden, überschattete. Seit 1989 habe sich zwar die öffentliche Meinung pluralisiert, so das Fazit, aber die Erinnerung an den Holocaust sei immer noch nicht in die „tschechische nationalgesellschaftliche Meistererzählung“ (317) integriert.
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Rubrizierung: 2.612.232.3124.12.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peter Hallama: Nationale Helden und jüdische Opfer. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39080-nationale-helden-und-juedische-opfer_47478, veröffentlicht am 12.11.2015. Buch-Nr.: 47478 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken