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Gabriele Beyler / Ingolf Notzke (Hrsg.)

"Sie schufen sich ihre eigene Opposition". Die Friedliche Revolution in Torgau

Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2015 (Auf Biegen und Brechen. Sonderband); 207 S.; brosch., 19,- €; ISBN 978-3-86583-953-4
Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau war eine Disziplinareinrichtung, die im System der Spezialheime der DDR‑Jugendhilfe eine besonders unrühmliche Rolle einnahm. Torgau habe als „Endstation im Erziehungssystem der DDR“ (11) gegolten, schreiben die Herausgeber. Ihren Sammelband widmen sie der Frage, welche Rolle der Jugendwerkhof und die Kleinstadt Torgau in der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989 spielten. Veröffentlicht wird das Buch vom Trägerverein der Gedenkstätte in Torgau, der Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. Gabriele Beyler, Vorstandsvorsitzende des Vereins, sowie Ingolf Notzke, wissenschaftlicher Referent, stellen in ihrer Einleitung fest, dass die Proteste der Bevölkerung, die den Sturz des SED‑Regimes zu Folge hatten, bisher vor allem für Großstädte wie Leipzig, Berlin und Dresden untersucht worden sind. Die dortigen, viel beachteten Aktionen hätten aber nicht allein den Umsturz herbeigeführt. Auch viele kleine Demonstrationen von regionalen Initiativen hätten mit zum Erfolg der Friedlichen Revolution beigetragen. Manuela Rummel rekonstruiert in ihrem kurzen Beitrag die letzten Tage des Jugendwerkhofs, der im Laufe der Revolution geschlossen wurde. Während auf den Straßen die Proteste lauter geworden seien, seien die Jugendlichen zunächst noch verschärft von der Außenwelt abgeschirmt worden. Unter dem Personal habe sich Verunsicherung breitgemacht, es sei eine Nachrichtensperre für die Insassen der Einrichtung verhängt worden und folgende Anweisung ergangen: „‚Die politische Wachsamkeit ist zu erhöhen.‘“ (91) Dass sich die Zahl der Ausbruchsversuche häufte, sieht Rummel als Zeichen dafür, dass die Abschirmung offenbar nicht vollständig gelang. In einem Fallbeispiel schildert Laura Hottenrott, wie die Erzieher mit harten Sanktionen jeden Widerstand zu unterdrücken versuchten. Ein Jugendlicher, der bei der Essenzuteilung gemeckert habe, sei drei Tage lang in den isolierten Arrest gesperrt worden. Auch „Pfeifen, Singen und Lärmen stand unter Strafe“ (94). Ein Schwerpunkt des Buches bildet der Beitrag von Christian Sachse über die Oppositionsaktivitäten in der Stadt Torgau. Er schreibt darin in dritter Person über seine Rolle als Jugendpfarrer in der Protestbewegung und seine Überwachung durch die Staatssicherheit. Für die Stasi habe er als Verbreiter „‚politisch‑ideologischer Diversion‘“ (14) gegolten. Bis Februar 1990 hätten in der kleinen Stadt regelmäßig Demonstrationen mit mehr als tausend Teilnehmern stattgefunden, so der Rückblick, zu den Treffen des dortigen Bürgerforums seien etwa 2.000 Menschen gekommen.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Wolfgang Denzler, Rezension zu: Gabriele Beyler / Ingolf Notzke (Hrsg.): "Sie schufen sich ihre eigene Opposition" Leipzig: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39110-sie-schufen-sich-ihre-eigene-opposition_47626, veröffentlicht am 19.11.2015. Buch-Nr.: 47626 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken