Skip to main content
Pierre-Frédéric Weber

Timor Teutonorum. Angst vor Deutschland seit 1945: eine europäische Emotion im Wandel

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2015; 285 S.; 39,90 €; ISBN 978-3-506-78101-7
Dass Deutschland in der Wahrnehmung seiner europäischen Nachbarn noch immer als Angstfaktor wirkt, beobachtet Pierre‑Frédéric Weber, auch wenn dies weder im gleichen Maße noch in der gleichen Form wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fall sei. Die Besonderheit dieser Angst sieht der Autor in ihrer Dauerhaftigkeit beziehungsweise Wiederkehr in der longue durée. Die Bandbreite und die Vielschichtigkeit der Angst vor Deutschland und den Deutschen nach 1945, die Weber als eine der am tiefstsitzenden kollektiven Emotionen in den Gesellschaften Europas bezeichnet, werden ausführlich dargestellt. So sorgte die Remilitarisierung Deutschlands, vor allem die Frage nach der möglichen Erlangung von Atomwaffen durch Westdeutschland, bei den ostmitteleuropäischen Nachbarn beider deutscher Staaten für Erregung. Auch die Bewaffnung der DDR mit der Schaffung der Nationalen Volksarmee und deren Integration in die Streitkräfte des Warschauer Paktes wurde zwar offiziell stillschweigend akzeptiert. Doch nicht bei allen östlichen Nachbarn stieß diese Entwicklung auf Zustimmung: „Es bestanden besonders Zweifel an der Friedfertigkeit der ostdeutschen Armee und an der Vergangenheit ihrer Kader, u. a. bezüglich ihrer Teilnahme am Zweiten Weltkrieg“ (98). Auch das Wirtschaftswunder der 1950er‑ und 1960er‑Jahre besorgte die Nachbarn. Sie hegten den Verdacht, dass die exportintensive Aktivität der deutschen Wirtschaft und die Auslandsinvestitionen „Teil einer staatlichen Strategie [waren], die zur Expansion der Bundesrepublik“ (99) beitragen sollte. Folglich wurde der Eröffnung von Handelsvertretungen mit Argwohn begegnet; so befürchtete man in Warschau, dass die Handelsmission der Bundesrepublik zur Anlaufstelle für polnische Staatsbürger deutscher Abstammung werden könnte. In Westeuropa verfolgten einige Partner der Bundesrepublik die Stärkung ihrer Handelsposition auf den osteuropäischen Märkten infolge der Ostpolitik mit Besorgnis. Und in Frankreich wurde das Szenario einer „wirtschaftlichen Übernahme des Elsasses durch westdeutsche Firmen“ (100) gezeichnet. Die EWG diente Frankreich, so Weber, als „Instrument zur Kontrolle und teilweise zur Ableitung des westdeutschen Aufschwungs“ (103), dabei versuchte das Land, die eigene staatliche Souveränität zu wahren – oder wie ein französischer Politiker formulierte: Es gehe darum, „Europa aufzubauen, ohne Frankreich abzubauen“ (102). Dass die Ängste der Anderen auch wiederum in Deutschland Ängste auslösten, verdeutlicht Weber ebenfalls und spricht etwa über die „‚Russen‑Angst‘“ (234). Zudem lässt sich „Timor Teutonorum“ neben der Angst vor Deutschland auch als „deutsche Angst ablesen, etwa im Sinne der ‚German Angst‘“; damit wird eine Art „deutsche Zögerlichkeit beziehungsweise Zurückhaltung“ (10) bezeichnet.
{STE}
Rubrizierung: 2.34.2 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Pierre-Frédéric Weber: Timor Teutonorum. Paderborn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39363-timor-teutonorum_47110, veröffentlicht am 11.02.2016. Buch-Nr.: 47110 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken