Skip to main content
Sebastian Lindner

Zwischen Öffnung und Abgrenzung. Die Geschichte des innerdeutschen Kulturabkommens 1973-1986

Berlin: Ch. Links Verlag 2015; 248 S.; 35,- €; ISBN 978-3-86153-860-8
Diss. Leipzig; Begutachtung: S. Meuschel. – Um es gleich vorwegzunehmen: „Sein Abschluss war der eigentliche Erfolg“ (232). Aus dem Kulturabkommen zwischen den beiden deutschen Teilstaaten, 1986 nach langen Jahren der (zwischenzeitlich unterbrochenen) Verhandlungen unterzeichnet, wurde kein politischer Meilenstein. Das lag wohl nicht nur daran, dass es durch den freundlichen Verlauf der Geschichte 1989 wieder obsolet wurde. Günter Grass hatte schon vor der Unterzeichnung geätzt, dass „‚gesamtdeutsches Spießerverständnis der Künste die Richtlinien [des Austausches] bestimmen wird‘“ (205). Zur Überprüfung dieser These kam es nicht mehr, aber die im Abkommen vorgesehene Koordinierung des kulturellen Austausches durch staatliche Institutionen ließ in der Tat wenig Innovation erwarten. Und auch in diesem Buch vermisst man einen angemessenen Exkurs zum Stellenwert der regimeuntreuen Kunst für die gesamtdeutsche Kultur. Die inhaltliche Ausgestaltung des Abkommens (dessen Abdruck im Anhang man sich gewünscht hätte) bildet aber auch gar nicht den Schwerpunkt dieser Studie. Sebastian Lindner vollzieht vor allem anhand verschiedener Akten die Verhandlungen an sich nach und ruft damit noch einmal in Erinnerung, was für ein politischer Eiertanz von der Bundesregierung aufgeführt werden musste, um das Gespräch mit der DDR überhaupt in Gang zu halten – mit den Ziel, das Leben der Bürger_innen zu verbessern und insgesamt im deutsch‑deutschen Gespräch zu bleiben. Abgerungen werden musste der ängstlich auf ihren Status bedachten DDR die Formel, dass das Abkommen (gemäß des Vier‑Mächte‑Abkommens) auch für Berlin (West) gelten wird, abzuwehren war die ostdeutsche Forderung, Kulturgüter zu erhalten, die vor dem Krieg auf der Museumsinsel in Berlin‑Mitte beheimatet waren. Bestätigt wird anhand der ausgewerteten Dokumente und Zeitzeugenaussagen der Stand der Forschung, wonach in der DDR Erich Honecker das letzte Wort hatte und die Verhandlungen mit der Bundesrepublik sowohl für das Streben nach völkerrechtlicher Anerkennung als auch für den Versuch genutzt wurden, einen eigenen, von der Sowjetunion unabhängigen Spielraum zu schaffen – was in der Zeit vor Gorbatschow nicht gelang. Als bemerkenswertes Verhandlungsthema fällt auf, dass die westdeutsche Seite einen Schüler‑ und Jugendaustausch in das Kulturabkommen integrieren wollte, die ostdeutsche Seite sich – insbesondere nach einer entsprechenden Intervention der Schulministerin und Hardlinerin Margot Honecker – aber dagegen sträubte. Das Regime hatte vor, die Mauer für ausgesuchte Bilder durchlässig werden zu lassen, nicht aber für Menschen.
{NW}
Rubrizierung: 2.3132.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Sebastian Lindner: Zwischen Öffnung und Abgrenzung. Berlin: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39381-zwischen-oeffnung-und-abgrenzung_47792, veröffentlicht am 11.02.2016. Buch-Nr.: 47792 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken