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Michael Schüring

"Bekennen gegen den Atomstaat". Die evangelischen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und die Konflikte um die Atomenergie 1970-1990

Göttingen: Wallstein Verlag 2015 (Deutsches Museum: Abhandlungen und Berichte. Neue Folge 31); 317 S.; geb., 29,90 €; ISBN 978-3-8353-1695-9
In den zwei Jahrzehnten zwischen den Studentenunruhen und der Wiedervereinigung prägten die Kontroversen um die Atomenergie die westdeutsche Öffentlichkeit. Bei diesen Debatten spielte die evangelische Kirche eine wichtige Rolle. Das lag, so die These in dieser historischen Aufarbeitung, erstens daran, „dass der Konflikt um die Atomenergie in Deutschland kulturell und religiös codiert war“ (8), dementsprechend war die Kirche mit ihren eigenen Traditionen und Argumentationsmustern gefordert. Dabei habe sie zum einen auf die biblische Gattung der prophetischen bis hin zur apokalyptischen Mahnrede rekurriert und zur Abkehr von den Götzen der Technik und des Wohlstandes und zu einem bescheideneren Lebensstil aufgerufen. Zum anderen habe sie eine Schöpfungslehre entfaltet, die eine gute Haushalterschaft als Paradigma der Schöpfungsverantwortung entwickelt und damit die Rede von der Naturbeherrschung modifiziert habe. Und schließlich habe die Kirche der evangelischen Hoffnung Sprache verliehen, sodass sie der Angst vor dem Tod sowohl Raum geben wie sie begrenzen konnte. Der zweite Grund für die wichtige Stellung der evangelischen Kirche in diesen Kontroversen habe darin gelegen, „dass die Kirche aus ihrer weltanschaulichen und sozialethischen Tradition heraus Anknüpfungspunkte an die diskursiven Strategien der Atomkraftgegner bot“ (8). Die Kirche habe es verstanden, den Relevanzverlust als traditionelle moralische Autorität in den 1960er‑Jahren aufzufangen, indem sie sich als Resonanzraum und Konfliktgemeinschaft profiliert habe. Gerade die evangelischen Akademien hätten die Gelegenheit geboten, unterschiedliche Auffassungen miteinander ins Gespräch zu bringen und so eine Position zu entwickeln. Hinzu sei die Arbeit der Umweltbeauftragten getreten, die kontinuierlich die Argumente in die Kirche getragen und eine Versachlichung der Kontroversen unterstützt hätten. Dass die Kirche erst im Verlauf dieser beiden Dekaden zu einer ablehnenden Haltung gegen die Kernenergie fand, bestätigt diese Lesart Michael Schürings; sie wird durch zahlreiche Quellenfunde aus den kirchlichen Archiven eindrucksvoll belegt.
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Rubrizierung: 2.352.3132.343 Empfohlene Zitierweise: Volker Stümke, Rezension zu: Michael Schüring: "Bekennen gegen den Atomstaat" Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39522-bekennen-gegen-den-atomstaat_48135, veröffentlicht am 10.03.2016. Buch-Nr.: 48135 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken