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Armin Nassehi / Peter Felixberger (Hrsg.)

Wohin flüchten?

Hamburg: Murmann 2015 (Kursbuch 183); 192 S.; 19,- €; ISBN 978-3-86774-425-6
Für die zahllosen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung oder Armut und in der Hoffnung auf ein besseres Leben ihre Heimat gen Europa verlassen, ist die Titelfrage „Wohin flüchten?“ eine existenzielle – und sie scheint angesichts der Unfähigkeit der europäischen Politik, auf die gegenwärtigen Migrationsbewegungen angemessen zu reagieren, brisanter denn je. Mit diesem Kursbuch werden die „ungeklärt[en…] Gemengelagen um Flucht und Vertreibung“ (4), die die öffentliche Diskussion über die sogenannte Flüchtlingskrise bestimmen, aufgegriffen. Dies geschieht aus dem Blickwinkel verschiedener Disziplinen wie Theologie, Psychologie, Geschichte, Ethnologie und Soziologie. Der Journalist Alfred Hackensberger vermittelt in seinem Beitrag die Perspektive der Flüchtlinge, die aus Nigeria, Mali, dem Tschad, aber auch Syrien oder Pakistan in die marokkanische Hafenstadt Tanger migriert sind, um von dort, wo sie unter unwürdigen Bedingungen leben, mit einem Schlauchboot über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien überzusetzen. Seit der verstärkten Grenzsicherungspolitik auf beiden Seiten ist dies nahezu aussichtlos, doch: „Wer goldene Träume hat, will von der Realität nichts wissen“ (15), schreibt Hackensberger und erklärt, warum es zu kurz greift, diese Menschen lediglich als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen. Ihre Auswanderung sei ein Akt der Revolte, die Flüchtlinge akzeptierten nicht mehr, um ihre Zukunft betrogen zu sein. Die Wahrnehmung von Flüchtlingen als von hoffnungslosem Schicksal Getriebene sei ein Mythos, die Politik müsse anerkennen: „Wir haben es mit Menschen zu tun, die die gleiche Freizügigkeit genießen wollen wie Europäer es tun. Das wäre schon ein erster entscheidender Schritt.“ (20) Die Politik der Abschiebung, in der sich ein „relative[s] Scheitern des Staates“ (82) ausdrücke, habe keine Zukunft, hebt der Journalist Miltiadis Oulios hervor. Er sieht in der Praxis der Menschen, die sich gegen ihre Ausweisung wehren, „die Vorhut einer neuen Ordnung“, sie praktizierten eine Utopie, die es politisch zu gestalten gelte. Die Reise‑ und Niederlassungsfreiheit in der erweiterten EU, erinnert Oulios, war einst ebenso eine Utopie, die „ihren Anfang auch in den Freiheits‑ und Migrationsbewegungen der Menschen aus Osteuropa genommen hat“ (81 f.). Aus einer globalhistorischen Perspektive gelangt Jochen Oltmer zu ähnlichen Einschätzungen und plädiert für mehr Gelassenheit im Umgang mit Migration. Als zentrales Element der Globalisierung sei Migration „Voraussetzung und Bestandteil der Vernetzung von Individuen und Kollektiven“ (39).
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Rubrizierung: 4.422.352.3433.5 Empfohlene Zitierweise: Anke Rösener, Rezension zu: Armin Nassehi / Peter Felixberger (Hrsg.): Wohin flüchten? Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39567-wohin-fluechten_47656, veröffentlicht am 31.03.2016. Buch-Nr.: 47656 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken