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Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.)

Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Die Reden der Hauptankläger. Neu gelesen und kommentiert

Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt 2015; 501 S.; brosch., 38,- €; ISBN 978-3-86393-067-7
„Nürnberg“ gilt als Meilenstein bei der Institutionalisierung von Strafgerichtshöfen und damit auch als Wegweiser für die in den 1990er‑Jahren geschaffenen Internationalen Strafgerichtshöfe für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda sowie für den ständigen Internationalen Strafgerichtshof. Nur so betrachtet gingen jedoch die auch für die heutigen völkerstrafrechtlichen Diskurse wichtigen, „spezifischen historischen Umstände [... und] rechtspolitische[n] Debatten verloren“ und ebenso „das Verständnis, dass ein internationales Strafverfahren wegen politischer Verbrechen notwendigerweise ein politischer Prozess ist“ (11 f.), wie Rainer Huhle einleitend unter Rückgriff auf Otto Kirchheimer feststellt. Aus den Eröffnungs‑ und Schlussplädoyers vor dem Militärtribunal von Nürnberg wurden für diese Publikation die vier zentralen Reden ausgewählt und mit ausführlicher Kommentierung versehen, die wohl berühmteste ist die von Justice Robert H. Jackson, dem US‑Anklagevertreter. In der Zusammenschau werden die Gemeinsamkeiten, vor allem aber die Unterschiede zwischen den Siegermächten deutlich. Das betrifft die Traditionen des anglo‑amerikanischen und kontinentaleuropäischen Rechtsverständnisses bzw. Strafprozesses – etwa hinsichtlich des Rückwirkungsverbots, des Begriffs des Angriffskriegs, des fair trial und der Rechte der Verteidigung oder aber beim Konflikt zwischen „Kollektivschuld“ und dem aus der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in den USA stammenden Konzept der „Verschwörung“. Es spiegeln sich darüber hinaus auch die zeitgeschichtlich gebundenen, subkutanen politischen Motive wider: etwa die auf Wiederaufbau und „Reeducation“ gerichtete Besatzungspolitik der USA oder die im Falle Frankreichs auch auf Exkulpation gerichtete „Verteidigung [...] gegen den Vorwurf der Kollaboration“ (14). So wird der rechtspolitische Charakter internationaler Strafgerichtsbarkeit exemplarisch deutlich. Die Ausgabe erhebt nicht den Anspruch einer textkritischen Edition, sondern rekurriert auf die deutsche Ausgabe der Protokolle des IMT, macht dabei aber auf zentrale Problematiken in der Terminologie aufmerksam. Das gilt zum Beispiel für die schon von Hannah Arendt monierte, bis heute verwendete Übersetzung des Anklagepunkts „Crimes against Humanity“ mit „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, obwohl „Verbrechen gegen die Menschheit“ ebenfalls in den Protokollen auftaucht – und wohl auch viel besser passt.
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Rubrizierung: 4.1 Empfohlene Zitierweise: Robert Chr. van Ooyen, Rezension zu: Nürnberger Menschenrechtszentrum (Hrsg.): Das Internationale Militärtribunal von Nürnberg 1945/46. Hamburg: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39777-das-internationale-militaertribunal-von-nuernberg-194546_48196, veröffentlicht am 23.06.2016. Buch-Nr.: 48196 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken