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Reinhard Kühnl

Liberalismus als Form bürgerlicher Herrschaft. Von der Befreiung des Menschen zur Freiheit des Marktes

Heilbronn: Distel Verlag 1999 (Distel Hefte: Beiträge zur politischen Bildung 40); 135 S.; 22,- DM; ISBN 3-929348-29-2
Kühnl, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Marburg, hat 1971 ein Buch mit dem Titel "Formen bürgerlicher Herrschaft. Liberalismus – Faschismus" veröffentlicht ("rororo aktuell"). Der neue Band gibt daraus - "von wenigen kleineren Veränderungen abgesehen" (8) - die Darstellung des Liberalismus wieder und erweist sich als (wohl unfreiwilliger) Beitrag zur Debatte über die "68er", indem er exemplarisch den Geist zeigt, in dem damals zumindest unter orthodoxen Marxisten über gesellschaftliche und politische Fragen reflektiert wurde. Kühnl analysiert die (geistes-)geschichtliche Entwicklung des Liberalismus und betont dabei vor allem die Widersprüchlichkeit seiner Rechtfertigung. Als Grundwiderspruch erweist sich das Verhältnis von Freiheit und Gleichheit: "Von der im Liberalismus proklamierten Freiheit blieb [...] in der sozialen Realität kaum mehr als die Freiheit des Eigentums und des Erwerbs, d. h. die Freiheit der Kapitalbesitzer auf Ausbeutung der Lohnabhängigen." (65 f.) Der Liberalismus bekämpft die Idee der sozialen Gleichheit mit dem Argument, dass sie zur Aufhebung der Freiheit führe (65), doch in Wahrheit ist es dieser Kampf, der die Freiheit aufhebt und in den Faschismus mündet. Will man diesen Weg verhindern, so bleibt entweder die Rückkehr zu dem durch den Neoliberalismus infrage gestellten "Kompromissmodell" des Sozialstaats oder die Ausdehnung des Prinzips der Demokratie auf alle Bereiche der Gesellschaft: Der Sozialismus bleibt – trotz des "Zusammenbruch[s] des Staatssozialismus" – "seinen radikaldemokratischen und humanistischen Grundlagen und seiner inneren Logik nach aber aktuell" (121). – Am Ende fehlt nur noch das Plädoyer für die Revolution... Inhaltsübersicht: B. Die Vorgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft: 1. Der wirtschaftliche Aufstieg des Bürgertums; 2. Die geistige Offensive: die Aufklärung; 3. Die politische Offensive: die bürgerliche Revolution. C. Das Weltbild des klassischen Liberalismus: 1. Die Idee vom Fortschritt; 2. Gesellschaft und Wirtschaft; 3. Staat und Recht; 4. Inkonsequenzen und Widersprüche: der Liberalismus als Defensivideologie; 5. Idee und Realität; 6. Die Rechtfertigung sozialer Ungleichheit. D. Vom liberalen zum organisierten Kapitalismus: 1. Die sozialökonomische Entwicklung; 2. Der Funktionswandel des Staates; 3. Varianten bürgerlicher Ideologien. E. Exkurs: Die deutsche Sonderentwicklung; F. Liberalismus seit 1945: 1. Die neoliberale Wirtschaftslehre; 2. Elemente des liberalen Parlamentarismus im Verfassungsrecht; 3. Die neue Offensive des Neoliberalismus. G. Alternativen der bürgerlichen Gesellschaft.
Hendrik Hansen (HH)
Dr., Lehrbeauftragter, Politische Theorie und Ideengeschichte, Universität Passau.
Rubrizierung: 5.43 | 5.33 Empfohlene Zitierweise: Hendrik Hansen, Rezension zu: Reinhard Kühnl: Liberalismus als Form bürgerlicher Herrschaft. Heilbronn: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/4708-liberalismus-als-form-buergerlicher-herrschaft_15255, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 15255 Rezension drucken