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Björn Schiffbauer

Vorbeugende Selbstverteidigung im Völkerrecht. Eine systematische Ermittlung des gegenwärtigen friedenssicherungsrechtlichen Besitzstandes aus völkerrechtsdogmatischer und praxisanalytischer Sicht

Berlin: Duncker & Humblot 2012 (Schriften zum Völkerrecht 197); 490 S.; kart., 96,- €; ISBN 978-3-428-13868-5
Rechtswiss. Diss. Köln; Begutachtung: C. Kreß, B. Kempen. – Schiffbauer fragt in dieser anspruchsvollen Studie, ob und gegebenenfalls inwieweit eine vorbeugende Selbstverteidigung völkerrechtlich zulässig ist. Darunter versteht er „die Gewaltanwendung gegen einen nicht manifestierten Schadensauslöser zur Verhinderung eines bei ungehindertem Geschehensablauf durch dessen Gewalt verursachten Schadens“ (88). Diese Definition ergibt sich aus einem ersten Teil, in dem er neben der Begriffsbestimmung auch das Verhältnis zwischen legaler reaktiver und vorbeugender Selbstverteidigung analysiert. Zudem werden an dieser Stelle die zentralen juristischen Diskussionen vorgestellt und bestimmten Theorien zugeordnet. Im zweiten Teil untersucht der Autor dann die relevanten Rechtsquellen – also das Völkervertrags‑ und das Völkergewohnheitsrecht – hinsichtlich der Frage, inwiefern unterschiedliche theoretische Ansätze hiermit in Einklang zu bringen sind. Anhand einer textorientierten Auslegung kommt er zu dem Ergebnis, dass eine vorbeugende Selbstverteidigung entsprechend folgender Theorien als legal gilt: gemäß der absoluten Imminenztheorie dann, „wenn bei ungehindertem Geschehensablauf in naher Zukunft ein eine reaktive Selbstverteidigungslage auslösendes Ereignis sicher eintreten würde“ (166); auch die Evidenztheorie lässt sich mit dem geltenden Recht vereinbaren. Danach ist eine vorbeugende Selbstverteidigung rechtmäßig, „wenn bei ungehindertem Geschehensablauf jederzeit ein eine reaktive Selbstverteidigungslage auslösendes Ereignis mit sich aufdrängend hoher Wahrscheinlichkeit eintreten könnte“ (172). Vertretbar in einem völkerrechtlichen Kontext ist zuletzt die Indikationstheorie, die besagt, dass eine vorbeugende Selbstverteidigung dann legal ist, „wenn bei ungehindertem Geschehensablauf jederzeit ein eine Selbstverteidigungslage auslösendes Ereignis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eintreten könnte, wobei die Wahrscheinlichkeit auf Grund vorheriger Geschehnisse, die einen indikationsspezifischen Verknüpfungszusammenhang begründen, indiziert sein muss“ (178). Das theoretische Ergebnis wird, wie der Autor darlegt, zudem von der völkerrechtlichen Praxis unterstützt, sodass er zu dem klaren Ergebnis kommt, dass das Völkerrecht eine vorbeugende Selbstverteidigung unter den Annahmen der drei genannten Theorien zulässt. Insgesamt handelt es sich um eine sorgfältig herausgearbeitete Argumentation, die sich aufgrund der juristischen Komplexität und Sprache nicht immer einfach liest. Trotzdem ist sie auch für politikwissenschaftliche Untersuchungen, die eventuell eher auf die Frage nach der Legitimität von vorbeugender Selbstverteidigung abzielen, unbedingt zu Kenntnis zu nehmen.
Jan Achim Richter (JAR)
Dipl.-Politologe, Doktorand, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 4.1 | 4.41 Empfohlene Zitierweise: Jan Achim Richter, Rezension zu: Björn Schiffbauer: Vorbeugende Selbstverteidigung im Völkerrecht. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9190-vorbeugende-selbstverteidigung-im-voelkerrecht_42900, veröffentlicht am 31.01.2013. Buch-Nr.: 42900 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken