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Boris Spernol

Notstand der Demokratie. Der Protest gegen die Notstandsgesetze und die Frage der NS-Vergangenheit

Essen: Klartext 2008; 139 S.; brosch., 22,- €; ISBN 978-3-89861-962-2
Seit dem Ende der 50er-Jahre plante die Bundesregierung, das Grundgesetz mit Artikeln einer Notstandsverfassung zu ergänzen. Gewährleistet werden sollte die Handlungsfähigkeit des Staates in Krisensituationen. Vielfach wurde dies damit begründet, dass so die alliierten Rechte in Deutschland abgelöst werden könnten. Das alliierte Notstandsrecht bildete nach Ansicht von Spernol allerdings nur einen willkommenen Anlass, die Schließung einer verfassungsrechtlichen Lücke zu rechtfertigen. Diese Pläne stießen auf heftigen Protest, vor allem vonseiten der Gewerkschaften, der Studentenbewegung und zahlreicher Professoren. Letztere stehen im Mittelpunkt dieser Studie. Spernol zeigt an den Stellungnahmen von Karl Dietrich Bracher, Eugen Kogon, Wolfgang Abendroth, Helmut Ridder und Jürgen Seifert die inhaltliche Dimension dieses Protestes auf. Gemeinsam war ihnen – eingedenk des Scheiterns der Weimarer Republik und des Notstandsartikels 48 der damaligen Verfassung – die Sorge um die Demokratie. Die Verhältnisse in der noch jungen Bundesrepublik schienen ihnen keinesfalls gefestigt. Seifert sah in der Verfassung denn auch „kein Ordnungsstatut, sondern [das] Produkt politischer und sozialer Machtkämpfe’“ (72). Abendroth „betrachtete das Notstandsgesetz als Instrument des ‚schleichenden Staatsstreiches’, eingesetzt sobald die ‚Stabilität der gegenwärtigen Machtverhältnisse bedroht erscheint’“ (56). Der Autor stellt diese aus heutiger Sicht vielleicht zu drastisch erscheinenden Sorgen in den Kontext ihrer Zeit – so kurz nach Kriegsende, Korea-Krieg und Kuba-Krise erschien der Friede ein unsicherer Zustand; die politische Kultur unter Adenauer war restaurativ, die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stand im Wesentlichen noch aus. Und angesichts von Ereignissen wie der Spiegel-Affäre und dem Tod Ohnesorgs werden die Bedenken der Gegner der Notstandsgesetze nachvollziehbar. Spernol zeigt in diesem insgesamt erhellenden Überblick, dass die damalige Debatte „Projektionsfläche und Symptom zugleich für ein ausgeprägtes Misstrauen gegen die politischen Institutionen war“ (89).
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.313 | 2.35 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Boris Spernol: Notstand der Demokratie. Essen: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9592-notstand-der-demokratie_34375, veröffentlicht am 11.09.2008. Buch-Nr.: 34375 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken