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Barbara Sterl: Die Europäisierung der Kommunen: zwischen Absorption und Transformation

15.05.2017
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Autorenprofil
Susanne Dengel, Dipl. Kulturwissenschaftlerin
Baden-Baden, Nomos 2016 (Schriftenreihe des Europäischen Zentrums für Föderalismus-Forschung Tübingen 47)

Welche Veränderungsprozesse ergeben sich durch die EU-Politik auf lokaler Ebene?
Welche Faktoren bremsen oder beschleunigen einen möglichen Wandel? Barbara Sterl untersucht diese Frage anhand der Luftqualitäts- und der Strukturpolitik. Die Arbeit wurde als Dissertation an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen. Bislang ist das Thema der Europäisierung der lokalen Ebene weniger stark untersucht worden. Die Forschung konzentrierte sich eher auf die nationale und regionale Ebene. Die Fragestellung ist demnach gewichtig, ihre Beantwortung erfolgt auf rund 200 Seiten.

Das Untersuchungsdesign wird einleitend weitgehend klar erläutert: Es handelt sich um eine Längsschnittuntersuchung, deren Zeiträume sich am jeweiligen Politikfeld orientieren. Im Falle der Luftqualitätspolitik beginnt sie mit der Umsetzung einer Richtlinie von 1996 und reicht bis in das Jahr 2013. Im Falle der Strukturpolitik endet sie im selben Jahr, startet aber erst 2007. Als Fallbeispiele dienen Nürnberg und Dortmund, zwei SPD-geführte Städte, die einen wirtschaftlichen Strukturwandel vollzogen haben und rund 500.000 bis 600.000 Einwohner zählen. Gegenstand der Untersuchung sind die drei Dimensionen der Politikinhalte, -prozesse und -institutionen. Positiv zu bemerken ist die breite Quellenbasis: Berücksichtigt wurden Dokumente von der kommunalen Ebene wie Stadtratsprotokolle und kommunale Veröffentlichungen, Positionspapiere und Medienberichte, außerdem Dokumente der EU-Ebene und entsprechende Veröffentlichungen der Landes- und regionalen Ebene. Ergänzend dazu führte die Autorin 21 Experteninterviews mit Vertretern von Städten und kommunalen Verbänden. Welche Impulse es von der lokalen Ebene „hinauf“ zur europäischen Ebene gab, untersuchte die Autorin ausdrücklich nicht. Aufgrund der Komplexität des Themas ist diese Einschränkung der Perspektive vertretbar, auch wenn von Wechselbeziehungen zwischen den Ebenen auszugehen ist.

Das zentrale Ergebnis der Untersuchung lautet, dass es zu einer Europäisierung von Dortmund und Nürnberg kam, weil die Städte die EU-Angebote aktiv annahmen. „Ein EU-induzierter Wandel stellte sich demnach nicht nur als Folge einer Rechtsvorgabe – mit entsprechenden Konsequenzen bei mangelnder Umsetzung – ein, sondern auch als Folge von EU-Angeboten, zu deren Nutzung die kommunalen Akteure sich frei entschließen.“ (188)

Was beschleunigte den Wandel auf lokaler Ebene? Erstens wirkte sich europäisierungsfördernd aus, wenn sich einzelne Akteure mit dem EU-Programm profilieren konnten beziehungsweise ihre Position gestärkt sahen. So bezogen sich beispielsweise Umweltschützer auf kommunaler Ebene auf die EU-Luftqualitätsrichtlinie, wenn diese ihren argumentativen Standpunkt untermauerte. Wenig verwunderlich kam es zweitens auch auf die Unterstützung durch die politische Stadtspitze und die politischen Gremien an. Die politischen Akteure engagierten sich besonders dann, wenn es drittens einen gewissen Gestaltungsraum gab. Viertens spielte auch der integrierte Ansatz der EU-Programme eine Rolle. Denn dieser bot die Möglichkeit, bisherige Organisationsmodelle abzulösen und wirkte in einigen Fällen als Anreiz für die Stadtverwaltung, die in der Regel sektoral arbeitet. Europäisierungsfördernd war fünftens die Einführung neuer Instrumente und Maßnahmen wie zum Beispiel Luftreinhaltepläne. Schließlich führten auch Gerichtsprozesse mit Bürgern dazu, dass sich Kommunen EU-Programmen anschlossen. „Für die kommunale Praxis in Dortmund und Nürnberg verstärkte sich durch die Verfahren in jedem Fall die Aufmerksamkeit für das Thema Luftreinhaltung und förderte die Diskussion um die Feinstaubbelastung sowie die Einrichtung von Umweltzonen“ (198).

Bestimmte Faktoren bremsten indes die Europäisierungsprozesse auf kommunaler Ebene. Grundsätzlich wirkte sich hemmend aus, dass die Länder und nicht die Kommunen für EU-Verordnungen zuständig waren, auch wenn die EU explizit die Städte mit ihren Programmen ansprach. Zweitens interessierten sich die Kommunen auch nur dann für die EU-Programme, wenn sie mit ihrer lokalen Praxis vereinbar waren. Wie bereits oben erwähnt, führte drittens eine stark sektorale Sichtweise zur Ablehnung der integrierten EU-Programme. Viertens identifiziert die Autorin fehlende Instrumente auf kommunaler Ebene als wandelbremsend. Die Finanzsituation der Kommunen wie auch die landesspezifische Umsetzung der EU-Strukturpolitik konnte sich im Einzelfall zu einem Verstärker oder Hemmnis entwickeln.

Die Autorin untersucht ein wichtiges Thema, wertet vielfältige Quellen aus und argumentiert nachvollziehbar. Der Ansatz zur Ermittlung allgemeiner Faktoren, die sich entweder beschleunigend oder hemmend auswirken, ist durchaus begrüßenswert. Wie bei jeder kommunalen Studie lassen sich indes nur bedingt einzelne Faktoren isoliert betrachten, da es sich jeweils auch um ein Zusammenspiel vieler örtlicher Gegebenheiten handelt. Positiv zu bewerten ist, wie die Autorin die Darstellung durch zahlreiche grafische Abbildungen und Tabellen anreichert und so die Ergebnisse visualisiert. Besonders bemerkenswert sind die grafischen Darstellungen der Akteurskonstellationen (zum Beispiel 180/181), die von der Idee her auch Vorbild für andere Städtestudien sein könnten. Fotografien hätten die Aufmachung des Buches noch attraktiver gemacht. Manchmal hemmt der oft technische Sprachgebrauch den Lesefluss – ein Umstand, der sich sicherlich auch durch die Wahl des Forschungsgegenstands erklären lässt.

 

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Aus der Annotierten Bibliografie


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