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Sebastian Friedrich: Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen

12.06.2017
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Autorenprofil
Vincent Streichhahn, M.A.
Berlin, Bertz + Fischer 2017

Wenige Themen haben die öffentliche Debatte in der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen Jahren so sehr geprägt wie der Aufstieg des Rechtspopulismus im Allgemeinen und der AfD im Besonderen. Der leidenschaftliche Diskurs zur Einwanderungspolitik der Bundesregierung und zur deutschen Leitkultur, den Innenminister Thomas de Maizière mit dem Slogan „Wir sind nicht Burka“ in erneute Abgründe führte, ist deren Kehrseite. Die Wahl Donald Trumps, der Brexit, die Entwicklungen in Polen – all das reiht sich in einen gesellschaftlichen Rechtsruck ein, der globale Ausmaße angenommen hat.

Vor diesem Hintergrund hat der derzeit promovierende Sozialwissenschaftler Sebastian Friedrich mit seinem Buch „Die AfD. Analysen – Hintergründe – Kontroversen“ nicht nur ein kompaktes, detailliert recherchiertes Überblickswerk zu dieser Partei veröffentlicht, sondern ihm geht es auch darum, Klarheit in einige Streitfragen zu bringen: Was sind die Ursachen des Aufstiegs der AfD? Welchen Charakter hat die Partei? Wie ist ihre soziale Basis beschaffen und mit welchen Strategien sollte ihr begegnet werden?

Den Aufstieg der AfD verortet Friedrich im Kontext einer multiplen Krise: „Im Wesentlichen sind es vier Krisen, auf die das rechte Projekt reagiert: die Krise des Konservatismus, die Repräsentationskrise, die Krise des Kapitals und die Krise des Sozialen“ (13). Es handelt sich bei der AfD jedoch nicht um ein abrupt und schlagartig einsetzendes Phänomen. Vielmehr ist es ihr gelungen, an gesellschaftliche Diskurse anzuknüpfen, die aus der Mitte der Gesellschaft selbst gekommen sind. Laut Friedrich sind der Millionen-Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ (2010) von Thilo Sarrazin und das Buch „Das Eva-Prinzip“ von Eva Herman (2006) zentral für den diskursiven Erfolg der AfD gewesen. Sie hätten jahrelang das Feld bestellt, das die AfD nun durch elektorale Erfolge abernte. Die oben erwähnte Äußerung des Innenministers oder auch Horst Seehofers, der das Sozialsystem „bis zur letzten Patrone“ verteidigen möchte, fügen sich nahtlos daran an. „Die AfD kann also jenes Potenzial nutzen, das es in der Bundesrepublik lange vor der Parteigründung gab“ (9). Studien wie die des Soziologen Wilhelm Heitmeyer weisen schon seit Jahren darauf hin, dass Rassismus und Autoritarismus in der Gesellschaft weit verbreitet sind.

Friedrich räumt zudem überzeugend mit einigen Mythen auf, zum Beispiel, dass die AfD eine Partei der „kleinen Leute“ sei. „Ihr gelingt es vor allem, Selbstständige, kleinere Unternehmer_innen und die ökonomisch besser gestellten Teile der Arbeiterklasse anzusprechen, bei Erwerbslosen und ‚Abgehängten‘ ist die Resonanz geringer. Sie ist also nicht eine Partei der Armen, auch wenn es ihr mehr als zu Beginn gelingt, die ‚kleinen Leute‘ anzusprechen“ (89). Bei der Wähler*innenschaft der AfD handelt es sich demnach in erster Linie um Menschen mit ausgeprägten Abstiegsängsten, die im Kontext der Finanzkrise 2008 eine objektive Grundlage erhielten.

Besonders eindrucksvoll arbeitet der Autor die verschiedenen Strömungen innerhalb der AfD heraus. So streiten laut Friedrich der nationalliberale, der nationalkonservative und der völkische Flügel seit der Parteigründung um Einfluss. Die Basis der verschiedenen Flügel reiche jedoch weit über die AfD hinaus, die gegenwärtig als eine Art Sammelbecken fungiere. „Die AfD spielt bei der Formierung der Rechten eine entscheidende Rolle, denn sie bietet die Plattform, auf der sich die unterschiedlichen Fraktionen und Akteure sammeln. [...] Die AfD ist damit sowohl Ausdruck der rechten Formierung als auch ihr Motor“ (96).

Es wäre demnach falsch zu konstatieren, bei den Auseinandersetzungen der Flügel handle es sich lediglich um eine „Selbstdemontage“ innerhalb der AfD. Vielmehr habe ihr völkischer Flügel seit der Parteigründung zunehmend an Einfluss gewonnen. Beim Sturz des nationalliberalen Bernd Luckes auf dem Essener Parteitag im Juli 2015 einigten sich die Vertreter*innen der verschiedenen Flügel auf die Nationalkonservativen Frauke Petry und Jörg Meuthen als Parteivorsitzende. Die Schlappe Petrys auf dem Kölner Parteitag im April 2017 wird als weiterer Erfolg des völkischen Flügels um Björn Höcke und Alexander Gauland gewertet. „Trotz Streit und Spaltung ist der AfD binnen wenigen Jahren gelungen, was nach 1945 in Deutschland niemand fertigbrachte: rechts der Unionsparteien das konservative bis extrem rechte Spektrum zu bündeln“ (8).

Was die Strategien gegen die AfD betrifft, knüpft Friedrich an einige linke Debatten an, die zuletzt auch innerhalb des Feuilletons geführt wurden. Wie Didier Eribon, der Autor von „Die Rückkehr nach Reims“, argumentiert er, dass die gesellschaftliche Linke die soziale Frage in den vergangenen Jahrzehnten vernachlässigt hat. Es ginge darum, eine linke Gegenbewegung aufzubauen und dabei nicht nur die AfD, sondern auch die herrschende Politik der Bundesregierung zu kritisieren. „Eine sinnvolle linke Strategie gegen die rechte Formierung muss beiden Varianten des Neoliberalismus etwas entgegensetzen – und sich nicht mit einer Seite gemein machen“ (126).

 

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