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Pascal Bruckner: Der eingebildete Rassismus: Islamophobie und Schuld

02.02.2021
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Autorenprofil
Prof. Dr. Volker Stümke
Edition Tiamat, Berlin 2020

Aus dem Französischen von Alex Carstiuc, Mark Heldon und Christoph Hesse

Rezensent Volker Stümke versteht das Buch des französischen Philosophen Pascal Bruckner als Kampfschrift. Diese richte sich gegen den Islamismus sowie die politische Linke in Frankreich, die dessen Verbrechen verharmlose, indem sie von Islamophobie spreche. Mit diesem Begriff solle Kritik am Islam und am Islamismus abgewehrt und auf den Angreifer projiziert werden. Die Kritik am religiösen Terror werde demnach von der Angst vor dem Fremden diktiert. „Den Ausdruck Islamophobie madig zu machen, ihn zu delegitimieren, Zweifel und Unbehagen an ihm zu verbreiten“, sei das Ziel dieses Essays.

Eine Rezension von Volker Stümke

Diese Kampfschrift des französischen Philosophen richtet sich gegen zwei Gegner, zum einen den Islamismus und zum anderen die politische Linke in Frankreich, die dessen Verbrechen verharmlose, indem sie von Islamophobie spreche. Mit diesem Begriff solle jede Kritik am Islam und vor allem am Islamismus nicht nur abgewehrt, sondern auf den Angreifer projiziert werden. Die Kritik am religiösen Terror werde demnach von der Angst vor dem Fremden diktiert – und Angst sei ein schlechter Ratgeber. „Den Ausdruck Islamophobie madig zu machen, ihn zu delegitimieren, Zweifel und Unbehagen an ihm zu verbreiten[, …] ist das Vorhaben dieses Essays“ (12), der dazu sehr deutliche Töne anschlägt und provokante Formulierungen nicht scheut.

Die Monografie ist in fünf Kapitel unterteilt. Im ersten Kapitel „Die Fabrikation eines Gesinnungsverbrechens“ schildert Bruckner anhand zahlreicher Zitate französischer Intellektueller die Verbindung des Vorwurfs der Islamophobie mit dem linken Konzept des Antirassismus. Dagegen hält er fest: Wer jede Kritik am Islam als rassistisch brandmarke, mache erstens Religion und Kultur unangreifbar (22). Zweitens erhalte der Islam so eine Sonderstellung und werde nicht mehr als eine Religion neben anderen wahrgenommen (44 f.). Wer somit drittens ein reales Massaker mit einer religiösen Behauptung gleichsetze, also den Protest gegen Verbrechen mit einer Ablehnung von Dogmen verrechne, begehe einen „epistemologischen Fehlschluss“ (43) – und genau der habe dazu geführt, dass die Kritik am islamistischen Terror zu einem Gesinnungsverbrechen verfälscht worden sei.

Es folgt seine Abrechnung mit der politischen Linken: „Die Linke erkrankt an einer Verleugnung“ (47), die näherhin in einer Umbesetzung bestehe: „Es ist ein Entlastungs- und Umdeutungsmechanismus in Gang gesetzt worden, der sämtliche Verbrechen des Islams Europa und den Vereinigten Staaten zum Vorwurf macht und gleichzeitig dessen Kriegshetze gegen uns in einen aggressiven Akt unsererseits umdeutet“ (78). So würden die sexistischen Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015 verharmlost, indem man darauf verweise, dass überall Frauen Gewaltopfer würden (61), so werde der Schleier mit dem Minirock auf eine Ebene gestellt: In beiden Fällen müssten sich Frauen dem Diktat von Männern beugen (65). Bruckner wirft diesen Linken einen „herablassenden Paternalismus“ vor, weil sie die islamistischen Täter nicht als „selbständig Handelnde“ betrachteten (80).

Das dritte Kapitel „Moslems gleich Juden?“ beschreibt die Taktik von Muslimen, den „Status des edlen Opfers“ (85) zu erlangen, indem man sich erstens selbst als Opfer und zweitens die Juden von heute als Täter profiliere; sie seien „gebleicht“ (99), also zu weißen Unterdrückern erklärt worden. Aber das sei immer noch Rassismus, weil weiterhin die ethnische Zugehörigkeit Menschen zu Verbrechern beziehungsweise Opfern stempele. „Der neue Rassismus träumt sich in die Kleider des Widerstands gegen die braune Pest, damit die grüne Pest möglichst ungehindert um sich greifen kann“ (105). Bruckner protestiert gegen diesen „Opfermonotheismus“ (113), der nur davon ablenke, sich auch die eigene Schuld einzugestehen.

Der Bezug auf das Frankreich der Gegenwart ist der Schwerpunkt des folgenden Kapitels „Sind wir schuldig, weil wir existieren?“ (115) Frankreich wird dabei – wenig verwunderlich – nicht als Volk der Franzosen oder als christliches Land, also weder ethnisch noch religiös, sondern als laizistischer und demokratischer Rechtsstaat, in dem es Religionsfreiheit und Gleichheit von Mann und Frau gebe, verstanden (128 f.). Es sei genau das rechtliche Fundament, das Menschen nicht in ihre Bräuche einkerkere (133), sondern persönliche Freiheiten ermögliche – einschließlich derjenigen, sich von seiner Tradition/Religion zu lösen. „In einem Rechtsstaat ist es das Gesetz, das schützt, und der Brauch, der unterdrückt“ (136). Gegen den Rassismus der Identitären, die als „Tugendschwadrone“ (147) ihre Angehörigen bestimmen wollen, solle man die Einladung stellen, an der liberalen Lebensweise Frankreichs teilzuhaben (148).

Das letzte Kapitel bezieht sich auf die Religion. Unter der Leitfrage „Welche Zukunft hat Gott?“ setzt Bruckner zwei Akzente. Zum einen hält er fest, dass der Islam sich ändern und insbesondere akzeptieren müsse, dass wir heute in „Unsicherheit hinsichtlich der letzten Fragen“ (197) leben – das sei die Rückseite der Freiheit, die man nicht dogmatisch zurückdrängen könne. Zum anderen fordert er, die moderaten Muslime zu unterstützen, die ansonsten zwischen den radikalen Muslimen und den desinteressierten Franzosen zerrieben würden (170 f.). Auch hier gibt er den Weg und das Ziel vor: Der Islam müsse „banalisiert“ (171), zu einer neben anderen „bloßen Meinungen herabgesetzt“ (204) werden, damit es in Frankreich einen „Markt der Spiritualitäten“ (210) geben werde. – Aber ist das nicht wiederum ein weltanschaulich imprägnierter Druck von außen, der mit einer Mischung aus Demokratie und Ökonomie nun auch das religiöse Feld besetzen will? Bruckner verweist mehrfach darauf, dass die katholische Kirche, Schuld eingestanden und den eigenen Absolutheitsanspruch relativiert habe (112, 208). Doch passierte das auf Druck von außen oder nicht vielmehr aufgrund der Einsicht, dass die eigenen Grundlagen eine andere Sprache sprechen? Man gestand sich ein, die Bibel verraten zu haben – und nicht Voltaire oder Locke. Sollte man dementsprechend die moderaten Muslime nicht darin stärken, in ihren Traditionen und Überzeugungen friedensfördernde und tolerante Aussagen zu finden und zu betonen, damit sie auch von innen der Religionsfreiheit zustimmen?

 

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