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Alexander von Pechmann: Die Eigentumsfrage im 21. Jahrhundert. Ein rechtsphilosophischer Traktat über die Zukunft der Menschheit

03.11.2022
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Autorenprofil
Dr. Max Lüggert
Bielefeld, transcript Verlag 2021

Alexander von Pechmann dekonstruiert unsere modernen Eigentumsordnungen, ihre Genese, ihre Rechtfertigungsstrategien und ihre Effekte. Dabei fragt der Philosoph insbesondere nach den Konsequenzen eines Status quo in der Eigentumsfrage, während sich die Welt global ökologisch wie demografisch rasant verändere. Er skizziert dabei Herausforderungen und Lösungsansätze. Die Analyse, so Max Lüggert, liefere den Stoff, um diese wichtige Auseinandersetzung gedanklich zu führen: beispielsweise in Form der Forderung nach einer stärker bindenden Formulierung zum Allgemeinwohl im Artikel 14 des Grundgesetzes. (tt)

Eine Rezension von Max Lüggert

Sowohl in der politischen Ideengeschichte als auch in empirisch motivierten Betrachtungen in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nimmt die Untersuchung des Themenkomplexes Eigentum einen besonderen Raum ein. Eigentum prägt die Verteilung von individuellen Entfaltungschancen. Eigentum ist ein Marker für gesellschaftliche Ungleichheiten. Eigentum ist ein bürgerlicher Rechtsbegriff, der in vielen modernen Verfassungsordnungen garantiert wird. Diese weitreichende Wirkung von Eigentum nimmt Alexander von Pechmann zum Anlass, die bestehenden Eigentumsordnungen kritisch daraufhin zu überprüfen, wie sie angesichts der ökologischen und sozialen Herausforderungen, denen die Menschheit derzeit entgegensieht, angemessen sind.

Pechmann widmet sich dem Thema Eigentum, weil dieses aus seiner Sicht zentral für die Erklärung der Menschheitsprobleme in ökologischer wie sozialer Hinsicht ist. Entsprechend baut er sein Buch in drei Abschnitten auf. Zunächst schildert er die Begriffe Besitz und Eigentum, inklusive einer Darstellung verschiedener Eigentumsordnungen. Danach erklärt er, welche Eigentumsverhältnisse bestehen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Abschließend skizziert er eine alternative Eigentumsordnung, die zur Lösung der genannten Probleme beitragen soll.

Als elementare Unterscheidung führt Pechmann eingangs die Unterscheidung zwischen Besitz und Eigentum ein. Der Besitz beschreibe ein (Kontroll-)Verhältnis, das zwischen Menschen und Gegenständen besteht – es handelt sich entsprechend um einen empirisch-deskriptiven Begriff. Eigentum beinhalte hingegen Ansprüche, die über die Kontrolle eines Gegenstandes hinausgehen; in der Regel in der Form, dass mit Rückgriff auf Eigentum andere Menschen vom Gebrauch eines bestimmten Gegenstandes ausgeschlossen werden können. Eigentum sei entsprechend ein normativer Begriff. Somit erscheint der Eigentumsbegriff durchaus variabler.

Wenn man davon ausgeht, dass Eigentum als rechtlicher Begriff besteht, setzt dies die Existenz eines wie auch immer verfassten Gemeinwesens voraus, das (Eigentums-)Recht setzen und vor allem durchsetzen kann. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass Eigentumsordnungen allerdings geändert werden können, falls das zugrunde liegende Recht geändert wird oder dass das Eigentum selbst, im Extremfall, als rechtliche Kategorie erlöschen kann, wenn dies in einem Gemeinwesen nicht mehr länger anerkannt wird.

Diese Vielfalt an möglichen Ausgestaltungen von Eigentum zeigt Pechmann im ersten Abschnitt des Buches, in dem er private wie gemeinschaftliche Eigentumsvorstellungen skizziert. Besonders hervorzuheben ist hier der Wandel privatwirtschaftlicher Ordnungen von feudalen hin zu kapitalistischen Systemen. So stand es in feudalen Ordnungen zwar frei, Eigentum privat zu gebrauchen, allerdings stets unter dem Vorbehalt einer Orientierung am Gemeinwohl. Begründet wurde dies durch das angenommene universelle Eigentum Gottes an allen Dingen, das in seiner Vertretung durch die verschiedenen Landesherren wahrgenommen wurde. Mit dem Wandel zur bürgerlich-kapitalistischen Eigentumsordnung änderten sich Grundsätze des Eigentumserwerbs.

Sei es in feudalen Ordnungen möglich gewesen, den Eigentumserwerb entlang ständischer Grenzen auszuschließen, stehe es in der kapitalistischen Eigentumsordnung grundsätzlich allen Menschen offen, Eigentum zu erwerben. Praktische Grenzen ergeben sich dabei jedoch durch die ursprüngliche Ausstattung mit Kapital. Diejenigen, die zu Beginn der kapitalistischen Wende wenig Eigentum haben, könnten zwar Eigentum an Geld oder anderen Gegenständen erwerben, jedoch in der Regel als Folge eigener (Lohn-)Arbeit. Somit ergebe sich eine Differenz zwischen den Menschen, die nur ihre Arbeitskraft einsetzen können und den Menschen, die aus dieser fremden Arbeitskraft Profite erzielten und für den Ausbau ihres Kapitalstocks verwendeten. Für den Gegenentwurf des Gemeineigentums hält Pechmann fest, dass das gemeinschaftliche Eigentum am Boden hier eine Gemeinsamkeit darstellt, aber dass in den weitergehenden Details jedoch durchaus unterschiedliche Ausgestaltungen denkbar sind – er verdeutlicht dies an der Darstellung von sowjetischer Planwirtschaft, jugoslawischer genossenschaftlicher Selbstverwaltung und schließlich am modernen Beispiel Chinas mit seiner sozialistischen Marktwirtschaft. Allen bisher gedachten Eigentumsordnungen sei jedoch gemein, dass sie sich vornehmlich mit dem Verhältnis zwischen Gegenständen und Menschen auseinandersetzen und ökologische Auswirkungen des Eigentumsgebrauchs bis jetzt weitgehend ausgeblendet haben.

Hier setzt Pechmann an, um die in diesem Zusammenhang bestehenden Diskrepanzen hervorzuheben. Er setzt zutreffend voraus, dass sich die verschiedenen Produktionsprozesse, die Grundlage der derzeitigen globalen Wirtschaft sind „als ein hochkomplexes arbeitsteiliges und kooperatives globales System“ (93) darstellen. Wirtschaft und Ökologie stehen jedoch vor diesem Hintergrund in zweierlei Hinsicht im Konflikt. So seien Güter zwar gemeinschaftlich durch verschiedene Personen, oft über den ganzen Globus verteilt, hergestellt; der Gebrauch sei hingegen oft ein individueller Akt, abgesichert durch die Garantien privater Eigentumsordnungen. Zudem sei die Reproduktion in natürlichen Systemen als zirkulärer Akt zu verstehen, menschliche Reproduktion sei in vielen Fällen jedoch ein linearer Akt, an dessen Ende irgendeine Art von Abfall entsteht. In ökologischen und in ökonomischen Systemen zeigten sich also verschiedene Handlungslogiken, dennoch seien beide Systeme aufeinander angewiesen. Darauf aufbauend kommt Pechmann zu dem Schluss, dass ein individuelles menschliches Handeln, das die künftige Existenz der Menschheit (sowohl in ökologischer wie sozialer Hinsicht) sichert, nicht innerhalb der bestehenden Eigentumsordnung zu verwirklichen ist. Wenn Menschen ihr Eigentum ökologisch verantwortlich nutzen sollen, müssten sie sich selbst als Teil der Natur begreifen. Daraus folgert der Autor jedoch, dass die Menschen ihre Zwecke nicht frei setzen können und somit nicht nach eigenem Belieben mit Gütern umgehen dürfen – eine grundsätzliche Einschränkung der Grundannahmen bürgerlich-kapitalistischer Eigentumstheorien.

Ausgehend von diesen Einblicken macht Pechmann abschließend einige Vorschläge, wie Eigentumsordnungen angepasst werden können, um den ökologischen Gebrauch von Eigentum sicherzustellen. Auf nationaler Ebene verweist er auf Artikel 14 des Grundgesetzes, der an einen allgemeinwohlverträglichen Gebrauch von Eigentum appelliert, diesen jedoch nicht zwingend vorschreibt. Hier ist Pechmanns Vorschlag, diese Bedingung strenger zu setzen; mit Änderung eines Wortes würde dann in seinem Vorschlag die Vorgabe lauten: „Sein Gebrauch muss zugleich dem Allgemeinwohl dienen“ (178).

Im Einklang mit der globalen Perspektive geht Pechmann jedoch noch einen Schritt weiter. Wenn man aus einer ökologischen Sichtweise die Erde als umfassendes System verstehe, die letztlich der einzige Gegenstand von Eigentum sein kann, sei eine rechtliche Person anzunehmen, die eine vergleichbare Tragweite hat. Für den Autor steht hier schon eine Institution bereit, nämlich die der Vereinten Nationen. In dieser Konstellation würden alle Nationalstaaten auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten und durch einen „Eintritt in den Weltstaat“ (185) würde das formelle Eigentum an der gesamten Erde den Vereinten Nationen zufallen.

Pechmann gelingt es, die Auswirkungen zeitgenössischer Besitz- und Konsumpraktiken auf die natürlichen Grundlagen darzustellen. Dass diese negativen Konsequenzen auch kausal auf die kapitalistische Ordnung weiter Teile der Weltwirtschaft zurückzuführen sind, wird von ihm ebenso schlüssig dargestellt.

Mit seinem Vorschlag der Stärkung der Vereinten Nationen lädt der Autor allerdings zum Widerspruch ein. Die Tatsache, dass die Vereinten Nationen bereits in ihrer aktuellen Form strukturell daran gehindert werden, ihre Hauptaufgabe der Vermeidung kriegerischer Auseinandersetzungen zu erfüllen, wird von Pechmann nicht näher behandelt. Dass die Vereinten Nationen nun noch deutlich weitergehende Befugnisse im Sinne eines Universaleigentümers übernehmen sollen, und zudem die konkrete Umsetzung dieser Eigentumskonstellation nicht im Detail skizziert wird, lässt seinen Vorschlag etwas naiv erscheinen. Dass er zudem den Eintritt in den Weltstaat als einmaligen Akt darstellt, in dem konkludent das fortlaufende Einverständnis aller Menschen in ihre Vertretung durch die Vereinten Nationen sichtbar wird, erscheint legitimationstheoretisch ebenfalls fraglich.

Pechmann möchte sich mit seinem Buch laut Untertitel mit der „Zukunft der Menschheit“ auseinandersetzen. Diese Begriffswahl ist sicherlich etwas plakativ, für die von ihm beschriebenen Sachverhalte jedoch durchaus zutreffend. Ökologische Krisen und soziale Verwerfungen werden in der weiten Öffentlichkeit zunehmend wahrgenommen und kritisch zur Sprache gebracht. Dass eine solche Skandalisierung einen Grundpfeiler der bestehenden wirtschaftlichen Ordnung – das Privateigentum – nicht ausnehmen kann, versteht sich von selbst. Der Autor liefert genug Material, um diese kritische Auseinandersetzung zu führen.



CC-BY-NC-SA
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