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William A. Galston: Anti-Pluralism. The Populist Threat to Liberal Democracy

07.01.2019
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Autorenprofil
Dr. Sven Leunig
Yale University Press 2018

„It’s the economy, stupid – plus some cultural attitudes“ – so in etwa könnte man die Quintessenz dieses kurzen Essays (knapp 140 Seiten) in Ergänzung des legendären Wahlkampfslogans von Bill Clinton formulieren: Tatsächliche oder wahrgenommene sozioökonomische Ungleichheiten und Gefahren von Wohlstandsverlusten auf der Individual- wie der Kollektivebene – vor allem in Krisenzeiten – bilden die Basis für den Aufschwung populistischer Parteien und die Einstellungen in der Bevölkerung. Hinzu kommt der den Menschen innewohnende „tribalism“, die Neigung, sich von anderen (Ethnien wie Lebensstilen) abzugrenzen, sich dabei jeweils für die „Besseren“ zu halten, Pluralismus als irritierend „disharmonisch“ zu empfinden – und der Populismus breitet sich aus. Denn, so schreibt William A. Galston zweifellos zutreffend, wenn auch nicht gerade überraschend, die Unterstützung für den pluralistischen, ökonomischen wie gesellschaftlich-individuellen Liberalismus ist es gerade, die die (politisch-ökonomisch-kulturelle) „Elite“ vertritt, während das geknechtete, aber brave Volk kein Gehör findet. Insofern findet sich in der Tat nichts Neues in seinem Buch. Um es bereits hier zusammenzufassen: Man kann es lesen – muss es aber nicht.

Nutzen bringt es denjenigen, die sich über den gegenwärtigen state of the art der politikwissenschaftlichen Zunft zum Konzept und zu den Hintergründen der „Welle des Populismus“ informieren wollen, wobei sich Galston allerdings mit intersubjektiver Überprüfbarkeit seiner Aussagen nicht übermäßig aufhält; Fußnoten werden eher mal gelegentlich eingestreut. Besonders gut prägen sich diese Erkenntnisse gleichwohl dadurch ein, dass er sie im Buch permanent wiederholt.

Dem Verständnis seiner Einschätzungen hinsichtlich der Gefahren, die der liberalen Demokratie drohen, dient es freilich nicht, dass der Autor seine beiden Kernkonzepte – liberale Demokratie und (elektorale) Demokratie – nicht klar definiert beziehungsweise voneinander abgrenzt, sodass sich der Populismus mal gegen die liberale Demokratie, mal gegen die Demokratie an sich richtet; mal identifiziert Galston Schwächen der liberalen Demokratie, mal sind es solche der Demokratie per se. Auch das einschlägige Kapitel 2 („Liberal Democracy in Theory“) ist nur bedingt hilfreich.

Wenig überraschend ist, dass er sich, wie auch Daniel Ziblatt und Steven Levitsky zuvor zum gleichen Thema, überwiegend mit den USA befasst, wobei Donald Trump erstaunlich selten erwähnt wird. Verglichen mit den beiden genannten Autoren ist der Teil seines Buches, der sich im Wesentlichen mit Europa befasst, mit gut einem Viertel (Kapitel 3 und 4) allerdings erkennbar größer.

Die Kapitel sechs („Liberal Democracy in America“) und sieben („Democratic Leadership“) erscheinen etwas in das Buch „hineingezwängt“: Während der Bezug zum Leitthema Populismus vs. (liberaler) Demokratie in den vorhergehenden Abschnitten und ebenso wieder im Schlusskapitel („The Incompleteness of Liberal Democracy“) klar erkennbar ist, befasst sich Kapitel sechs zunächst sehr stark vor allem mit den ökonomischen Problemen des Liberalismus und deren Beseitigung – wie Levitsky/Ziblatt empfiehlt der Autor eine quasi „sozialdemokratische“ Bekämpfung der Auswüchse des ungezügelten Liberalismus, um die entstandene sozioökomische Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu mindern, die seiner Ansicht nach einer der Hauptgründe für den Zuspruch vieler Menschen zum Populismus ist. Schon im Titel von Kapitel 7 wird erneut die bereits erwähnte konzeptionelle Unklarheit deutlich – an dieser Stelle will der Autor zeigen, welche Qualitäten „demokratische Führer“ haben müssen. Das legt zum einen nahe, dass die Populisten „undemokratisch“ sind, was er aber – durchaus überzeugend – in den ersten Kapiteln gerade nicht so sieht. Zum anderen sind es gerade die beiden „skills and virtues“ (117), die er als für demokratische Führer besonders wichtig erachtet: Befähigung und Legitimität, die populistische Politiker, sofern sie demokratisch gewählt sind, ja ebenfalls für sich beanspruchen (können).

Grundsätzlich scheint Galston insbesondere in diesem Abschnitt die populistischen Überzeugungen von Wählern mit denen ihrer Führer gleichzusetzen, wenn er etwa davon spricht, populistische Wähler würden politischen Führern generell misstrauen, weil sie sich in arroganter Weise für „besser“ als das Volk hielten: Dies gilt natürlich nur für die Führer, die Eliten der „anderen“ – die eigenen, populistischen Parteiführer unterscheiden sich von Letzteren gar nicht, auch sie behaupten, den „wahren Willen“ des Volkes kraft eigener Befähigung erkennen zu können, wobei sich das Volk dann ihren Erkenntnissen hinsichtlich des allgemeinen Wohls zu unterwerfen habe. Auch in folgenden Kapiteln irritiert die unkommentierte Feststellung, die Anhänger der Populisten würden deshalb ihre „starken Führer“ ins Amt bringen wollen, damit diese ihren „fight against concentrated power“ (126) in den Händen der (bisherigen) Eliten anführen – gerade diese starken Führer tendieren, wie die Beispiele Ungarn und Polen zeigen, dazu, intermediäre Gewalten auszuschalten und Macht zu konzentrieren. Und wenn, um den Autor noch einmal zu Wort kommen zu lassen, das „Gegenmittel“ zu Populismus „must include a decent, responsible nationalism, shorn of populism’s nativism and its anti-pluralist fantasies of a homogeneous people“ (63), dann muss man vielleicht doch befürchten, dass im Gegenmittel etwas zu viel vom ursprünglichen Gift stecken könnte.

 

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München, Deutsche Verlagsanstalt 2018 (DVA Sachbuch)

Die Demokratien erwiesen sich zwar durchaus als robust, schreiben Steven Levitsky und Daniel Ziblatt, beide Professoren in Harvard. Aber die internationale Lage sei im 21. Jahrhundert für sie doch deutlich ungünstiger geworden. Daher entwickeln sie unter Rückgriff auf viele negative wie positive Beispiele rund um den Globus einige Leitlinien für den Erhalt der Demokratie. Im Mittelpunkt ihres Buches stehen dabei die USA: Am vorläufigen Ende der Polarisierung ihrer Politik steht die Wahl des Populisten Donald Trump, gegen den es nun das demokratische Gemeinwesen zu verteidigen gilt.
zur Rezension


Digirama

William A. Galston
The populist challenge to liberal democracy
Journal of Democracy, April 2018

 

Robert Vehrkamp / Wolfgang Merkel
Populismusbarometer 2018
Bertelsmann Stiftung, Zukunft der Demokratie 04.2018

 

Christoph Trebesch / Manuel Funke / Moritz Schularick
10 Jahre Lehman: Populismus als Erbe der Finanzkrise
Kiel Institut für Weltwirtschaft 09/2018


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