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Peter Waldmann

Argentinien. Schwellenland auf Dauer

Hamburg: Murmann 2010; 230 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-86774-106-4
Das „gespaltene Identitätsbewusstsein der Argentinier, ihr fragwürdiges Staatsverständnis, ihr exzessiver, Gesetze und Rechtsstaat eher geringschätzender Individualismus und schließlich ihr Hang zu Ad-hoc-Lösungen“ (173) stellen nach Ansicht von Waldmann, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Augsburg, ein „Bündel von Kausalfaktoren“ aus dem „sozialpsychologischen Bereich“ (172) dar. Auf diese Faktoren sei zurückzuführen, so die These seiner essayistischen Ausführungen, dass Argentinien in einem „Entwicklungsstillstand“ (10) verharre. In einer Rückschau auf die Geschichte seit 1880 erläutert Waldmann, wie sich diese „mentalen Züge“ der Argentinier herausbildeten. Die „tiefe Ambivalenz, was ihre nationale Zugehörigkeit und die Bereitschaft, sich für die nationale Gemeinschaft einzusetzen“ angeht, zeigt sich verknüpft mit der nur allmählichen Staatsbildung und dem Zögern der Einwanderer aus Europa, die Staatsangehörigkeit ihrer neuen Heimat anzunehmen. Waldmann beschreibt die daraus erwachsene, herausragende Rolle der Gewerkschaften als Artikulationsplattform der Einwanderer und damit als politischer Akteur. Parallel dazu wird die Unförmigkeit der Parteien deutlich, die oftmals kein klar definierter Zusammenschluss Gleichgesinnter mit einer schlagkräftigen Organisation waren und sind. Auswirkungen auf die Entwicklung des Landes zeitigten außerdem die Diktaturen sowie der langlebige Peronismus, die die „utilitaristische Auffassung vom Staat als Beuteobjekt“ (12) eher noch beförderten. Für die Gegenwart sieht Waldmann die formal-demokratische Ordnung durch die informelle Einflussnahme der zahlreichen korporativen Verbände sowie der breiten Bevölkerung „vermittels ihrer Unmutsbekundungen“ (166) gestört. Konkrete Probleme bestehen nach seiner Erkenntnis u. a. nicht nur in den „fast routinemäßig[en]“ (194) Rechtsverletzungen im Alltag, sondern vor allem auch durch die wachsende Einkommensschere sowie den Verlust des öffentlichen Raumes infolge von Kriminalität und privater Einzäunung. Der einzige Nachtteil dieses insgesamt informativen Buches ist, dass die Amtszeit von Präsident Nestor Kirchner nur knapp und die aktuelle von Cristiana Fernandez de Kirchner praktisch gar nicht berücksichtigt wird.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.65 | 2.21 | 2.22 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Peter Waldmann: Argentinien. Hamburg: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32930-argentinien_39332, veröffentlicht am 15.02.2011. Buch-Nr.: 39332 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken