Ob gesellschaftliche Verwerfungen und kollektive Benachteiligungen als soziale Probleme anerkannt werden, ist nicht zuletzt eine Frage der Konfliktbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit politischer Akteure und Gruppen. In den alten Bundesländern ist es erst mit Beginn der 90er Jahre gelungen, über die Institutionalisierung von Armutskonferenzen und Armutsberichten die Lage der von ökonomischem bzw. sozialem Ausschluß Bedrohten als eigenständiges Thema in der Aufmerksamkeit fachlicher und lokaler Öffentlichkeiten zu plazieren. Allerdings sind diese Initiativen - trotz der 1991 von den großen Wohlfahrtsverbänden gegründeten Nationalen Armutskonferenz - im Westen überwiegend auf die kommunale Ebene beschränkt geblieben. Während also ein nationaler Armutsbericht, der u. a. auch die armutspolitischen Folgen der deutschen Einigung darzustellen hätte, bisher noch aussteht, wird in den neuen Bundesländern diese Form der Sozialberichterstattung aufgebaut - wie der Sammelband zeigt: durchaus gegen politisch-administrative Widerstände. Die AutorInnen sind bis auf eine Ausnahme in Ostdeutschland tätig, hauptsächlich im Wissenschaftssystem, aber auch in der Kommunalverwaltung und im Bereich sozialpolitischer Träger. Sie behandeln auf der einen Seite ostdeutsche Spezifika: neben einer perspektivischen Bestandsaufnahme (7 Beiträge) der Sozialberichterstattung namentlich in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern werden Formen und Betroffenheit von Armut und Arbeitslosigkeit in den neuen Bundesländern analysiert (5 Beiträge). Auf der anderen Seite setzen sich 4 Beiträge - gleichsam gesamtdeutsch - mit den Herausforderungen der Sozialpolitik nach der deutschen Einigung auseinander. Auch wenn die Herausgeber in der Hauptsache eine Zwischenbilanz der Beobachtung und Thematisierung von Armut in Ostdeutschland beabsichtigen, zeigen sich doch jenseits aller regionalen Unterschiede ost-westdeutsche Gemeinsamkeiten in der Armutsproblematik wie in den Schwierigkeiten sie zu benennen. Aus dem Inhalt: Hintergründe: Detlef Pollack / Gert Pickel / Jörg Jacobs: Wächst zusammen, was zusammengehört? - Subjektive und objektive Komponenten sozialer Ungleichheit in Ost- und Westdeutschland (9-29); Wolf Wagner: Armut, eine Positionsbestimmung (30-47); Hanna Haupt: Umbruchsarmut in den neuen Bundesländern? (48-67). Forschungsergebnisse: Margherita Zander: Frauenarmut (k)ein Thema im Osten? (69-95); Michael Klein: Familie und Armut (96-119); Berith Möller: Straßenkinder in Dresden (120-130); Berichterstattung: Karl August Chassé: Sozialberichterstattung und Armutsforschung in den neuen Bundesländern - Perspektiven und Dimensionen (131-151); Brigitte Baki: Sozialberichterstattung in Thüringen (152-169); Werner Freigang / Brigitta Michel-Schwartze: Sozialberichterstattung in Mecklenburg-Vorpommern (170-187); Gunnar Winkler: Sozialreport - Neue Bundesländer (188-205); Karl-Heinz Stange: Versorgungssituation behinderter Menschen in Thüringen (206-242). Politik: Christoph Butterwegge: Abschied vom Wohlfahrtsstaat? Die deutsche Sozialpolitik im Spannungsfeld zwischen Wiedervereinigung und Weltmarktkonkurrenz (243-259); Susanne Kornemann-Weber: Chancen kommunaler Sozialpolitik (260-268); Helmut Lukas: Sozialberichte und Sozialplanung (269-286); Anja Bultemeier / Jürgen Neubert: Arbeitsmarktentwicklung und Arbeitsmarktpolitik in Ostdeutschland (287-307); Ronald Lutz / Matthias Zeng: Rekonstruktion des Sozialen - Armutsberichte, Armutskonferenzen und Soziale Grundsicherung (308-322).