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M. Şükrü Hanioğlu

Atatürk. Visionär einer modernen Türkei. Aus dem Englischen von Tobias Gabel

Darmstadt: Konrad Theiss Verlag 2015 (Biographie); 312 S.; 29,95 €; ISBN 978-3-8062-3111-3
Eine Atatürk‑Biografie erfordert eine äußerst gründliche Quellenarbeit. Was für einen verantwortungsbewussten Historiker wie ein Allgemeinplatz klingen mag, hat bei einem der einflussreichsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts, wie Mustafa Kemal Atatürk einer war, besondere Bewandtnis. Die große Bewunderung und politische Instrumentalisierung (von jedweder politischen Couleur) des Staatsgründers der modernen Türkei steigerte sich in einen quasi‑religiösen Personenkultur, sodass „jeder ernsthafte Historiker, der sich mit dem historischen Atatürk auseinandersetzen möchte, sich zunächst einmal als Mythenkritiker betätigen muss“ (25), wie der Autor feststellt. Die angemessene Betrachtung dieser zentralen Figur der Weltgeschichte gelingt daher nur durch „die konsequente Historisierung seines Werdegangs und die Kontextualisierung seines Denkens“ (28). Atatürks Privatleben rückt daher in den Hintergrund. Die Studie besticht durch die lebhafte Darstellung turbulenter gesellschaftlicher und politischer Umbrüche, in denen sich Atatürk politisch sozialisiert hat. Dem Autor gelingt so ein äußerst überzeugendes Porträt, das, indem es eingebettet ist in die historischen Ereignisse und die Ideen der Zeit, lebendig wie verständlich wirkt. Dass diese politische Biografie nun auch in deutscher Sprache verfügbar ist, ist geradezu notwendig, denn nicht zuletzt deutsche Leser_innen werden einige interessante Einsichten gewinnen. Wer hätte etwa gedacht, dass Atatürks Denken auch auf den deutschen Vulgärmaterialismus zurückzuführen ist? Was dachte Atatürk über die deutsche Militärpräsenz im Osmanischen Reich? Die Studie ist überdies ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der historischen Entwicklung der Türkei. Es ist ein hervorragend lesbarer Band, der sich auf wesentliche Aspekte der Genesis der türkischen Nation konzentriert und die zentralen Stationen der Staats‑ und Nationalwerdung thematisiert, um die unermüdliche Mitwirkung des Staatsgründers kritisch offenzulegen. Wer sowohl über den Protagonisten als auch über die historisch‑politische Türkei etwas lernen will, für den ist dieses Werk unabdingliche Pflichtlektüre.
{RNE}
Rubrizierung: 2.12.63 Empfohlene Zitierweise: René Neumann, Rezension zu: M. Şükrü Hanioğlu: Atatürk. Darmstadt: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39312-atatuerk_47689, veröffentlicht am 28.01.2016. Buch-Nr.: 47689 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken