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Betrug mit EU-Geldern gemeinsam bekämpfen. Die Europäische Staatsanwaltschaft wird eine wichtige Rolle spielen

03.11.2017
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Jan Philipp Albrecht

Geldwäsche: Emmanuelle Macron fordert, dass die Europäische Staatsanwaltschaft auch gegen organisierte Kriminalität ermitteln soll. Foto: stevepb / PixabayGeldwäsche: Emmanuelle Macron fordert, dass die Europäische Staatsanwaltschaft auch gegen organisierte Kriminalität ermitteln soll. Foto: stevepb / Pixabay

 

Es ist eine Menge Geld, die den Steuerzahler*innen verloren geht: Mindestens 500 Millionen Euro im Jahr versickern durch Betrug mit EU-Geldern, auf 50 Milliarden Euro jährlich schätzt die Europäische Kommission den Schaden allein durch grenzüberschreitenden Mehrwertsteuerbetrug. Das Geld verschwindet durch Betrug und Korruption bei Fördergeldern und Strukturfonds, die eigentlich unter anderem in grenzüberschreitende und EU-geförderte Bau- und Sanierungsprojekte fließen sollen.

Wo die Ermittlungen der Staatsanwaltschaften in den EU-Mitgliedstaaten heute oft an den nationalen Grenzen enden, wird zukünftig die Europäische Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnehmen, wenn es um Straftaten zulasten des EU-Haushalts geht. Der Komplex besteht aus einer grenzüberschreitend agierenden Wirtschaftskriminalität, einem Geflecht aus hochentwickelten Strukturen zum Kaschieren von Betrug, unterschiedlichen Rechtssystemen und verwaltungsrechtlichen Vorschriften sowie verschiedenen Sprachen.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union wird eine unabhängige Staatsanwaltschaft in enger Zusammenarbeit mit denen der EU-Mitgliedstaaten gegen den Betrug mit EU-Geldern ermitteln. Das Europäische Parlament hat in seiner Abstimmung vom 5. Oktober 2017 mit großer Mehrheit die Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft beschlossen, die Innen- und Justizminister der Mitgliedstaaten haben die Entscheidung bei ihrem Treffen am 12. Oktober 2017 bestätigt. Damit ist der Weg frei für die neue EU-Behörde mit Sitz in Luxemburg. In drei bis vier Jahren soll sie ihre Arbeit aufnehmen.

Bisher koordiniert die Europäische Justizbehörde Eurojust grenzüberschreitende strafrechtliche Ermittlungen. Der länderübergreifende Informationsaustausch auf der Basis von Rechtshilfeabkommen zieht allerdings häufig abschreckend langwierige Verfahren nach sich. Zukünftig wird die Europäische Staatsanwaltschaft in enger Zusammenarbeit mit den Staatsanwaltschaften in den Mitgliedstaaten selbst Ermittlungen durchführen. Schnellerer Austausch von Informationen sowie besser koordinierte polizeiliche und grenzüberschreitende Ermittlungen sollen für zügige Verfahren sorgen.

Die Europäische Staatsanwaltschaft wird sich die größeren Fälle von Wirtschaftskriminalität vornehmen. Betrug wird sie in den Fällen verfolgen, bei denen es um mehr als 10.000 Euro geht, bei Mehrwertsteuerbetrug liegt die Schwelle bei 10 Millionen Euro. EU-weit einheitliche Regeln beim Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug zulasten der finanziellen Interessen der Europäischen Union sind eine Neuerung, die der Rat und das Europäische Parlament erst im Juli 2017 beschlossen haben. Der Kampf gegen den Mehrwertsteuerbetrug ist auch ein klarer Auftrag an die Strafverfolgungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten und an die zukünftige Europäische Staatsanwaltschaft.

Die Europäische Staatsanwaltschaft wird auf Betreiben der Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten dezentral aufgebaut sein. Am Sitz in Luxemburg wird pro teilnehmenden Mitgliedstaat ein Staatsanwalt vertreten sein, die 20 Staatsanwälte sind unabhängig von den nationalen Staatsanwaltschaften und ihnen gegenüber nicht weisungsgebunden. Zusammen mit dem Europäischen Staatsanwalt und dessen zwei Stellvertretern werden sie eng mit den Staatsanwaltschaften in den Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Die Europäische Staatsanwaltschaft wird außerdem eng mit der Europäischen Justizbehörde Eurojust, der EU-Betrugsbekämpfungsbehörde OLAF und der Europäischen Polizeibehörde Europol kooperieren.

Das Europäische Parlament war an den Verhandlungen nur indirekt beteiligt. Es galt in diesem Fall nicht das inzwischen übliche Verfahren der Mitentscheidung, sondern die Abgeordneten konnten dem im Rat gefundenen Kompromiss am Ende nur zustimmen oder ihn ablehnen. Während der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten hatte sich die große Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments gegen eine dezentralisierte Struktur ausgesprochen. Nach Auffassung der Abgeordneten sollte die Entscheidung über die Strafverfolgung und Aufnahme eines Verfahrens bei der Europäischen Staatsanwaltschaft in Luxemburg liegen, nicht bei den Staatsanwaltschaften in den Mitgliedstaaten. Das hätte eine größere Unabhängigkeit bedeutet und es hätte leichter verhindert werden können, dass die Nähe der Staatsanwaltschaften zu den Regierungen und Behörden der Mitgliedstaaten eine effektive und ungehinderte Ermittlungsarbeit beeinträchtigt.

Für Angeklagte und Beschuldigte gelten die EU-Grundrechtecharta, die EU-weiten Verfahrensstandards wie die Unschuldsvermutung, das Recht auf Zugang zu anwaltlichem Beistand, Übersetzung, Information und die im Mitgliedstaat geltenden Verfahrensrechte, in dem die Anklage erhoben wird. Welches Land dies ist, richtet sich nach objektiven Kriterien, an die die Staatsanwaltschaft gebunden ist, wie etwa der Wohnsitz des Beschuldigten. Eine Mehrheit plädierte auf Drängen der Grünen und Sozialdemokraten dafür, die Zulässigkeit von Beweisen an die gemeinsamen Standards der Europäischen Ermittlungsanordnung und damit an bereits verhandelte Grundsätze zu Verfahrensrechten für Angeklagte und Beschuldigte zu knüpfen. Zu einem klaren Bekenntnis konnten sich die Mitgliedstaaten allerdings nicht durchringen.

Es wird zu verfolgen sein, inwieweit die Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Staatsanwaltschaft die geltenden Verfahrensvorschriften des betroffenen Mitgliedstaates einhalten werden. Hier darf es keine Ausnahme geben und dieser Grundsatz nicht durch eine interessengeleitete und für die Verteidigung nicht nachvollziehbare Auswahl der Rechtsordnung umgangen werden. Die Europäische Staatsanwaltschaft darf sich bei grenzübergreifenden Ermittlungen nicht den Mitgliedstaat aussuchen, der die schärfsten Strafen und die niedrigsten Standards für Verfahrensrechte verspricht. Die Europäische Staatsanwaltschaft bringt die europäische Integration ein gutes Stück weiter. Die Rechte von Angeklagten und Beschuldigten dürfen jedoch nicht hinter den großen Schritten für EU-weite Ermittlungen zurückfallen.

Nicht alle Mitgliedstaaten sind bei EU-weiten Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft dabei. Zwanzig Mitgliedstaaten nehmen an der „verstärkten Zusammenarbeit“ teil, (noch) nicht dabei sind die Niederlande, Polen, Ungarn, Malta, Schweden, Großbritannien, Irland und Dänemark. Es ist ein gutes Zeichen, dass zwanzig Mitgliedstaaten vorangehen und die Türen offenhalten für alle, die sich später am Projekt beteiligen wollen. Zukunftsprojekte wie die unabhängige Europäische Staatsanwaltschaft müssen auch realisierbar sein, wenn sich nicht von Anfang an alle Mitgliedstaaten beteiligen.

Eine erfolgreiche Europäische Staatsanwaltschaft wird eine Sogwirkung auf die Mitgliedstaaten ausüben, die noch nicht an Bord sind. Darüber hinaus kann sie das Vertrauen in die Europäische Union stärken. Diese kann sich Steuergeld zurückholen, das in Korruption und Betrug versandet war, und damit in Zukunftsprojekte wie die Energiewende und die digitale Infrastruktur investieren. Was würde sich besser eignen, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen, als ihnen buchstäblich vor Augen zu führen, was die Europäische Union für sie vor Ort leistet?

Wir sollten das Integrationsprojekt weiterdenken: Je mehr sich terroristische Anschläge in der Europäischen Union häuften, desto mehr Maßnahmen zur Terrorismus-Bekämpfung haben die EU-Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament beschlossen. Eine echte Europäische Sicherheitsunion muss das Recht auch über die Landesgrenzen innerhalb der Europäischen Union durchsetzen können.

Der französische Präsident griff diesen Gedanken in seiner richtungweisenden Rede an der Sorbonne auf. Emmanuel Macron hat erkannt, welches Potenzial in der Europäischen Staatsanwaltschaft steckt und fordert, dass sie auch gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität ermitteln soll. Ebenso forderte der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Europäischen Union, dass die Europäische Staatsanwaltschaft gegen terroristische Straftaten ermitteln sollte. Erwartungsgemäß ignorierten die Regierungen die Vorschläge – zu viel Kompetenzverlagerung an die Europäische Union, zu hoch die Sorge vor der vermeintlichen Abgabe staatlicher Souveränität. Aber was spricht dagegen, dass die Europäische Staatsanwaltschaft auch gegen weitere Delikte ermittelt? Es liegt doch nahe, dass sie auch gegen Terror und organisierte Kriminalität vorgeht. Organisierte Kriminalität finanziert in vielen Fällen terroristische Straftaten und weder Wirtschaftskriminelle noch Terroristen lassen sich von Landesgrenzen aufhalten.

 

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Stellungnahmen

Rede von Jan-Philipp Albrecht im Plenum des Europäischen Parlaments
zur Europäischen Staatsanwaltschaft
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Jan Philipp Albrecht, Grüne
Betrug mit EU-Geldern gemeinsam bekämpfen. Europäische Staatsanwaltschaft
5. Oktober 2017

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Die europäische Staatsanwaltschaft
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13. Oktober 2017

Christian Ehler
EU-Staatsanwaltschaft soll Steuergelder besser schützen
5. Oktober 2017

Johannes Fechner
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Eike Paulun
Europäische Staatsanwaltschaft nach 16jähriger Schwangerschaft geboren
Stellungnahme der Europäischen Bewegung Deutschland
EBD De-Briefing JI-Rat | 17. Oktober 2017


Informationen

Europäisches Parlament
Betrugsbekämpfung: Neue Europäische Staatsanwaltschaft
Europäisches Parlament Aktuelles, 4. Oktober 2017

EU-Staatsanwaltschaft kann 2020 starten
ZEIT ONLINE, 12. Oktober 2017

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Claudia Knoppke
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Patricia Prahl
Europäische Staatsanwaltschaft startet ohne größte Profiteure von EU-Förderung
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Aus der Annotierten Bibliografie

 


zum Thema
Die Krise der Europäischen Union

 

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