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Bjoern Allmendinger

Brecht dem Schütz die Gräten, alle Macht den Räten. Die Rätebewegung – historische Inspiration und theoretische Bürde der 68er-Bewegung

Marburg: Tectum Verlag 2009 (Politikwissenschaften 21); 177 S.; pb., 24,90 €; ISBN 978-3-8288-9980-3
Magisterarbeit Oldenburg; Gutachter: G. Moldenhauer, H. Freiwald. – „‚Wir Sozialisten wollen die Demokratie nicht abschaffen, sondern sie maximal entfalten.’“ (152), äußerte Rudi Dutschke im letzten Interview vor dem an ihm verübten Attentat. Auf der Suche nach verbesserten Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung in Form einer neuen Staats- und Gesellschaftsform, abseits des parlamentarischen Regierungssystems, blickten die 68er in die Vergangenheit. Vergangene Sehnsüchte der Arbeiterbewegung erfreuten sich neuer Beliebtheit: direktes Mandat, Rotation der Ämter und die Einheit von Demokratie und Öffentlichkeit. Das auf Räte gestützte System der proletarischen Selbstverwaltung bestimmte die theoretischen Auseinandersetzungen. Die Losung „Alle Macht den Räten“ erschien vier Jahrzehnte nach der Novemberrevolution 1918 eine bessere und gerechtere Welt zu verheißen. Der Autor untersucht die Bezugnahme der 68er-Bewegung auf die Rätebewegung und fragt, inwieweit Kontinuitätszusammenhänge bestehen beziehungsweise theoretische Verbindungslinien zu erkennen sind. Die Arbeit enthält einen historischen Teil, in dem die Bezugspunkte der 68er-Bewegung, die Pariser Kommune und die russischen Arbeiterräte, beschrieben werden. Der Untersuchungsschwerpunkt des politischen Abschnitts liegt auf den Jahren 1967-71. Aufgrund der zu intensiven Konzentration auf historische Rätekonzepte sei eine kreative Entwicklung eigener Rätemodelle „schon im Keim“ erstickt worden, resümiert Allmendinger. „Der Begriff ‚Räte’ kursierte wie ein Schleier über den Köpfen der APO-Anhänger.“ Eigene Konzepte seien eher selten gewesen. Die Verteidigung des Rätegedankens habe sich eher zu einer „trotzigen Universal-Alternative, zu einem fast magischen Schlüsselwort der Kritik“ (151) als zu einem ausgefeilten Programm entwickelt. Das räterevolutionäre Wesen der 68er sei letztendlich ein Verlangen nach politischen Reformen und der gesellschaftlichen Demokratisierung gewesen. Willy Brandts Aufforderung, mehr Demokratie zu wagen, habe den Nerv vieler 68er getroffen und zu einem Masseneintritt ehemaliger APO-Anhänger in die SPD geführt.
Sabine Steppat (STE)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.313 | 2.331 | 2.61 | 2.62 | 2.22 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Bjoern Allmendinger: Brecht dem Schütz die Gräten, alle Macht den Räten. Marburg: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/31388-brecht-dem-schuetz-die-graeten-alle-macht-den-raeten_37357, veröffentlicht am 18.12.2009. Buch-Nr.: 37357 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken