
Bruno Kreisky in Ost-Berlin 1978. Ein Besuch der besonderen Art
„An der Überwindung der Teilung Deutschlands, Europas und der Welt hatten viele Anteil. Bruno Kreisky mit seiner Politik der Entspannung und Achtung der Menschenrechte gehört an vorderster Stelle dazu.“ (50) – Ein Beitrag auf diesem Weg war der dreitägige Staatsbesuch des österreichischen Bundeskanzlers im Frühjahr 1978 in Ost-Berlin, der die DDR als erster Regierungschef aus dem westlichen Ausland besuchte. Friedrich Bauer – österreichischer Botschafter in Ost-Berlin – und Enrico Seewald – beim Forschungsverbund SED-Staat der FU Berlin zuständig für die Erforschung des diplomatischen Corps in der DDR – schildern detailliert die Vorbereitungen und den Ablauf des Besuches. Ihre Aussagen stützen sie auf umfangreiche Recherchen in Wiener und Berliner Archiven. Die Atmosphäre jener Tage wird durch die fesselnde Art der Darstellung sowie durch Anekdoten lebendig. So habe die Chemie zwischen dem „staubtrockenen Berliner Stoph und dem lebenslustigen Wiener Kreisky“ von Anfang an nicht gestimmt: Die gemeinsame Fahrt vom Flugplatz zum Gästehaus habe Kreisky gelangweilt, sodass er „noch grantiger [war], als er ohnehin zu sein pflegte“ (33). Auf die militärische Begrüßung durch Soldaten der DDR-Volksarmee soll er gebrummt haben „Na, des fongt ja schön on.“ (8) Die Darstellung des Besuches wird eingebettet in den Gesamtkontext der österreichisch-ostdeutschen Beziehungen. Kreisky habe eine „ziemlich pragmatische Position“ (7) eingenommen, für ihn sei die Teilung Deutschlands ein Faktum gewesen, dennoch habe er Verständnis dafür gehabt, dass die Bundesrepublik die langfristige Möglichkeit einer Wiedervereinigung nicht aufgeben, sondern am Leben erhalten wollte. In dieser Frage ähnelten sich die Positionen von Kreisky und Brandt. Aber Letzterer sei über diesen Besuch nicht glücklich gewesen, Brandt habe Kreiskys Wunsch nach einer „aktiven“ (45) Gestaltung der Neutralitätspolitik Österreichs jedoch akzeptiert. Sowohl die DDR als auch die österreichische Seite bewerteten den Besuch als Erfolg, vor allem im Hinblick auf die wirtschaftliche Kooperation habe der Besuch Früchte getragen, wie es im Schlussresümee heißt. Positiv hervorzuheben ist der umfangreiche Dokumentationsteil im Anhang, darin finden sich Fotos vom Staatsbesuch, Zeitungsberichte, Faksimiles von Akten aus Ost und West. Dieser Band reiht sich in eine Fülle von Publikationen ein, die anlässlich des 100. Geburtstages des SPÖ-Chefs Kreisky 2011 erschienen sind.