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Ulf von Krause: Bundeswehr und Außenpolitik. Zur Rolle des Militärs im Diskurs um mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt

22.09.2017
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Autorenprofil
Sven Morgen, M. A.
Wiesbaden, Springer VS 2016

Der aktuelle Diskurs über die deutsche Außenpolitik ist vor allem durch die Frage geprägt, ob „Deutschland aufgrund seines gewachsenen Einflusses in Europa und in der Welt mehr Verantwortung übernehmen“ (1) sollte.

Den Anstoß für die öffentliche Diskussion dieser Überlegung bildete die viel beachtete und kontrovers diskutierte Rede von Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Jahr 2014. In dieser Debatte geht es auch um die Instrumente der deutschen Außenpolitik. Denn wenn die Bundesrepublik (weltweit) mehr Verantwortung wahrnehmen sollte, ist zu fragen, in welcher Weise das geschehen könnte. Dass die Bundeswehr dabei ein mögliches Instrument deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sein sollte, scheint selbstverständlich. Doch ist sie auch in der Praxis zur Umsetzung außenpolitischer Ziele in der Lage?

Dieser Frage widmet sich Ulf von Krause und führt so in die aktuelle Debatte zum Thema „Bundeswehr und Außenpolitik“ ein. Dabei zeichnet er die Entwicklung und Verwendung der Bundeswehr in der deutschen Außenpolitik aus historischer Perspektive nach und geht auf die aktuellen Herausforderungen und Hemmnisse ein, die die Rolle der Bundeswehr in der gegenwärtigen Auseinandersetzung prägen.

Obwohl einige Kritiker Bundespräsident Gauck unterstellten, dass er mit seiner Rede die Anwendung militärischer Mittel in der deutschen Außenpolitik legitimieren beziehungsweise vereinfachen wollte, gab es in der gesamten Debatte hierzu keine profunde Aufarbeitung. Dem medialen und politischen Diskurs mangelte es an Substanz, sodass es zu Scheindebatten über eine angeblich durch Gauck initiierte Militarisierung der deutschen Außenpolitik kam.

An dieser Stelle setzt die Arbeit des Autors an, der sich bereits 20111 und 20132 aus wissenschaftlicher Perspektive mit der Bundeswehr und ihrer Rolle in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik auseinandergesetzt hat. Diese Arbeiten bilden die Grundlage für dieses mit knapp 40 Seiten nicht sehr umfangreiche Buch, welches somit einen guten Einstieg in die tiefergehende wissenschaftliche Forschung zum Thema bietet. Den Leser*innen werden die wesentlichen Aspekte kurz und knapp vermittelt, sodass sich die Publikation auch für ein breiteres Publikum eignet und insbesondere der medialen und politischen Debatte mehr Substanz geben könnte. Denn aufgrund der Erkenntnisse des Autors müssen die 2014 postulierten Ansprüche an einen Ausbau von Deutschlands außenpolitischer Rolle in der Welt im Hinblick auf die militärische Dimension als weitgehend illusorisch angesehen werden.

Von Krause zeigt, „dass die Bundeswehr seit ihrer Gründung schon immer ein Instrument der Außenpolitik war“ (1) und bietet einen historischen Abriss über deren unterschiedliche Verwendung im Zeitverlauf. Bis zur Wiedervereinigung sei sie strategische Ressource gewesen, die im Ringen um Souveränität und Bündniszugehörigkeit als politisches „Tauschobjekt“ (38) eingesetzt worden sei. Erst nach der Wiedervereinigung sei die Bundeswehr allmählich mit den genuinen Aufgaben von Streitkräften betraut, zur Projektion von Macht eingeplant und eingesetzt worden. Diese Entwicklung sei von den Bündnispartnern von außen initiiert, und von den politischen Eliten in Deutschland übernommen, innenpolitisch vorangetrieben und umgesetzt worden.

Für die Zeit nach der Wiedervereinigung zeichnet von Krause die Entwicklung der Bundeswehr als aktiv genutztes Instrument der Außenpolitik kursorisch entlang ihrer Einsätze nach. Dabei wird deutlich, dass die Entscheidungen zu diesen überwiegend aufgrund von multilateralistischen Zwängen getroffen wurden und regelmäßig mit dem in der Gesellschaft vorherrschenden Zivilmachtsdenken in Konflikt gerieten. Die Normalisierung der Sicht auf den Gebrauch von Streitkräften als Mittel der Politik war nach Meinung des Autors zu lange nur ein Elitenprojekt und ist deshalb an der Gesellschaft und der breiten Öffentlichkeit weitgehend vorbeigelaufen.

Das ist sinnbildlich für ein „fast durchgängiges Auseinanderklaffen von Erwartungen und Aufträgen an die Bundeswehr sowie deren Fähigkeiten“ (22), das bereits bei der Gründung der Bundeswehr begonnen hat und im Lichte des Kaltes Krieges dazu führte, dass die „Mängel im Einsatzwert der Bundeswehr nachrangig wurden, [...] weil es ja keine ‚realen’ Einsätze gab“ (24). Mit den ersten Einsätzen der Bundeswehr nach der Wiedervereinigung wurden die strukturellen Mängel jedoch sichtbar.

Insbesondere zu Einsätzen außerhalb des eigenen Landes beziehungsweise des Bündnisgebietes sei die Bundeswehr nicht befähigt gewesen. Um dieses Defizit auszuräumen und den Umbau der Bundeswehr zu realisieren, hätte es in den 1990er-Jahren erhebliche Ressourcen gebraucht, die hierfür aufgrund angespannter Staatsfinanzen (Stichwort: Kosten der Einheit) nicht vorhanden gewesen seien. Die Bundeswehr sei nach der Wiedervereinigung nach budgetären Maßgaben und nicht an ihren neuen Aufgaben orientiert ausgestattet worden. Das habe dazu geführt, dass sie für ihre Aufgaben und ihren politischen Zweck nur ungenügend ausgerüstet gewesen sei und somit nicht als effektives Instrument der Außenpolitik habe eingesetzt werden können. Auch die 1999 durch die Weizsäcker-Kommission und 2010 durch die Weise-Kommission angeregten Strukturreformen hätten die Bundeswehr entlang budgetärer Maßgaben und nicht entlang des eigentlichen Aufgabenspektrums ausgerichtet.

Zwar nutze die Politik in Deutschland seit der Wiedervereinigung das Militär als Instrument der Außenpolitik, um durch Beteiligung an Einsätzen Bündnissolidarität und Handlungswillen zu zeigen, jedoch spiegele sich dieses nicht in einer adäquaten Zuweisung und Ausstattung mit finanziellen und materiellen Ressourcen wider, sodass die Bundeswehr die ihr gestellten Aufgaben und Einsätze nicht effektiv bewältigen könne.

So schließt von Krause seine Darstellung mit der Feststellung, dass der „Anspruch auf Wahrnehmung von mehr Verantwortung Deutschlands und die zurzeit gegebene Wirklichkeit der Bundeswehr als Instrument der Außenpolitik auseinanderklaffen“ (38). Die fehlende Akzeptanz des Militärs als außenpolitische Option in der Gesellschaft und die eklatanten Mängel in Einsatzbereitschaft und Durchhaltefähigkeit der Bundeswehr lassen die Übernahme weitergehender Aufgaben derzeit nicht zu.

Der Mehrwert des Buches liegt darin, dass der Autor in die aktuelle Debatte profund einführt und sie zusammenfasst. Somit eignet es sich als Einführung für Vorlesungen und Seminare zum Thema deutsche Außen- und Sicherheitspolitik im akademischen Bereich, aber auch als Einstieg für einen breiten Leser*innenkreis. Wie oben schon angedeutet, fehlt es der Debatte in Medien und Politik zu oft an grundlegendem Verständnis und Substanz. Mit dem hier präsentierten Wissen können die Ausführungen von Gauck bei Weitem nicht als Versuch der Militarisierung der deutschen Außenpolitik verstanden werden, da es für eine etwaige Militarisierung der Außenpolitik mit der Bundeswehr als effektives Instrument schlichtweg an Substanz fehlt und die jüngsten politischen Bemühungen hieran auch (noch) nichts ändern konnten.3



1 Ulf von Krause (2011): Die Afghanistaneinsätze der Bundeswehr. Politischer Entscheidungsprozess mit Eskalationsdynamik, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden.
2 Ulf von Krause (2013) Die Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik. Springer VS, Wiesbaden.
3 Vgl. Franz-Josef Meiers (2017) Bundeswehr am Wendepunkt. Perspektiven deutscher Außen- und Sicherheitspolitik, Springer VS, Wiesbaden.

 

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