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Martin Winter: China 2049. Wie Europa versagt

23.04.2020
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
München, Süddeutsche Zeitung Edition 2019

Dieses Buch beginnt mit dem Versuch, seinen Leserinnen und Lesern Angst einzuflößen. Es springt in ein fiktives Jahr 2049: zu den Feierlichkeiten des einhundertsten Geburtstages der Volksrepublik China. Eine megalomanische Show („Heerschau in Peking“, 19) auf dem Tian‘anmen-Platz wird beschrieben und man leidet mit den einbestellten („hierher geschleppten“, 21) und sogleich protokollarisch von den chinesischen Gastgebern gedemütigten EU-Offiziellen – beziehungsweise präziser und um im Gedankenbau des Buches zu bleiben: den Offiziellen der EK, der Europäischen Konföderation, denn die alte EU ist demnach gescheitert; machte aber Platz für eine viel stärkere Union.

Bunte Fantasie als Einstieg in ein Sachbuch? Einen ähnlichen Kunstgriff setzt zwar auch Ian Morris, Professor für Geschichte an der Stanford University in seinem Buch „Why the West rules – For now“ ein, doch es gibt zwischen dem Werk von Morris und dem von Winter einen wichtigen Unterschied. Bei erstem folgt auf Hunderten von Seiten eine sorgfältig zusammengestellte und wohlabgewogene Analyse der Geschichte von West und Ost der vergangenen Jahrtausende. Bei Winter folgen vor allem polemisierende Vorwürfe gegen China. Gleich im zweiten Absatz des Buches ist davon die Rede, dass sich der „chinesische Spaltpilz“ (9) in Europa festgesetzt habe.

Morris wollte mit seinem fiktiven Intro für ein selbstkritischeres Denken plädieren, dafür sensibilisieren, weniger eurozentristisch zu denken. Bei Winter dient der Kunstgriff dazu, um die Leser*innen von Beginn an gegen ein aus seiner Sicht gefährliches China einzunehmen. Dabei arbeitet der Autor bisweilen mit unfairen Stereotypen, wenn etwa von den „zorngesteuerten Drohgebärden der Chinesen“ die Rede ist, auf die der europäische Außenminister aber mit seiner „für einen geborenen Venezianer typischen Gelassenheit“ (24) reagiert. Hier also der mit Manieren behaftete, rationale und nachgerade aristokratisch wirkende Venezianer; dort das asiatische Rumpelstilzchen, gegen das „Plan Omega“ (39) aktiviert werden muss, um jene Macht aufzuhalten, der „sich die Welt unterwirft“ (53).

Das Buch ist in vierzehn Kapitel gegliedert, die zwar poppig aufgemacht sind, aber eine klare Linie vermissen lassen. Schon von seinem Layout her ist das Buch damit eher etwas „zum Durchblättern“, wie es auch im Begleitschreiben der für die Vermarktung zuständigen PR-Agentur heißt. Da mit einer größeren Leserschaft gerechnet werden darf, ist das Buch leider nicht so harmlos wie eine Illustrierte, deren Inhalte nach dem Blättern in der Regel wieder vergessen sind. Reißerisch wie ein buntes Blatt sind zum Teil auch die Kapitelüberschriften: „Süß-sauer – Kontrolle total“ oder „Der Westen unter Attacke“.

Obwohl der Titel andeutet, dass sich der Autor mit den Versäumnissen der EU auf globalem Parkett befasst, geschieht dies nur in den beiden letzten Kapiteln. Die Kernaussagen des Buches lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen: China korrumpiert, China überwältigt, China schubst Schwächere herum, China lügt und täuscht und die EU versagt dabei, China in seine Schranken zu weisen. Europa wird als Nabel der Welt gedacht. Auf Seite 301 wird die Welt vollends eurozentristisch gesehen. China müsse „lernen“, dass man Regeln zu befolgen habe. Dabei schwingt folgender Satz mit: Man folge uns. Andere haben kein Anrecht darauf, globale Regeln zu setzen.

Grundsätzlich misst der Autor mit zweierlei Maß: Europa steht für die Freiheit und den richtigen Lebensstil: Vom europäischen „Wappentier Freiheit“ ist auf Seite 91 simplifizierend die Rede, während China den Westen „beiseite räumen“ (231) wolle, weil die Herren in Peking die Freiheit hassten (32).

Auf welchen Daten, Fakten und Erkenntnissen fußt das Buch? Im Vorwort ist von „Think Tanks“ und „Politikern“ die Rede, ohne deren Hinweise das Buch nicht hätte geschrieben werden können. Mit Ausnahme von regelmäßigen Verweisen auf das Mercator Institute for China Studies (MERCIS) werden leider keine weiteren Quellen genannt oder nur angedeutet. Auch ansonsten finden sich für ein Buch, das als außenpolitische Analyse ernst genommen werden möchte, wenig Belege und Material. Ein Literatur- oder Quellenverzeichnis ist nicht vorhanden.

Selbstverständlich kann (und sollte) man Elemente der chinesischen Außenpolitik kritisieren. Auch Winters harscher Kritik wohnt in der Regel ein wahrer Kern inne. Aber dieser Kern wird in seiner Tendenz stets einseitig behandelt. Die folgenden zwei Beispiele verdeutlichen die mangelnde Balance des Buches:

  • Kultur als Subversion: China überziehe nach Sicht des Autors die Welt mit einem Netz von Konfuzius-Instituten, die als ‚Deckmantel‘ Chinesisch-Unterricht anbieten. Die mit ähnlicher Mission ausgestatteten deutschen Goethe-Institute bleiben hingegen unerwähnt – wohl, weil China mithilfe seiner Institute Propaganda betreibt, Dissidenten auf Linie hält und Einflussagenten gewinnen will (33) – während die ‚guten Deutschen‘ natürlich lediglich die edlen Künste fördern.
  • Wirtschaft als Dominanzmittel: China erkenne die richtigen Angriffspunkte und kaufe sich strategisch in die wichtigsten Industrien ein (36), vor allem im Bereich der Infrastruktur. Dass zum Beispiel die bis heute mehrheitlich dem Land Hessen und der Stadt Frankfurt gehörende, also im Staatsbesitz befindliche, Fraport AG weltweit das Gleiche tut – bleibt unerwähnt!

Intellektuell klingt die Idee spannend: An welcher Stelle reagiert die EU nicht entschlossen genug? Was können wir tun, um China nicht allein die Zukunft zu überlassen? Und wie kann Europa seiner Selbstverzwergung in der internationalen Politik entgegenwirken? Doch anstelle von Strategieempfehlungen gibt es in erster Linie eine moralisierende Beschwörung von Werten, die erfahrungsgemäß in der praktischen Politik oft von nur begrenztem Nutzen sind. Nach innen solle sich Europa gegen den Populismus wenden und den schwächeren Mitgliedstaaten zur Seite stehen (257 ff.). Nach außen solle es mit allen anderen Ländern auf der Welt – außer scheinbar China – enger kooperieren (287 f.). Anstatt also eine ‚saubere‘ Analyse vorzunehmen, wird ein manichäisches Weltbild gezeichnet: „Die letzte Schlacht um den Westen beginnt jetzt.“ (28)

 

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