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Domenico Losurdo

Das 20. Jahrhundert begreifen. Aus dem Italienischen von Erdmute Brielmayer

Köln: PapyRossa Verlag 2013; 95 S.; 8,- €; ISBN 978-3-89438-524-8
Dieser Text könne als Weiterentwicklung der Analyse in „Kampf um die Geschichte. Der historische Revisionismus und seine Mythen“ (siehe Buch‑Nr. 32639) betrachtet werden, so der Hinweis von Domenico Losurdo, Professor für Philosophie an der Universität Urbino. Er beginnt mit einer Kritik daran, dass Publikationen wie das „Schwarzbuch des Kommunismus“ in „zwanghafter Anhäufung“ von Opferzahlen „den Leser betäuben, ihn dazu bringen, jede weitere Überlegung beiseite zu lassen, und ihn zwingen, eine Wahrheit anzunehmen, die sich an der fürchterlichen Masse aufgetürmter Leichen misst“ (8) – woran sonst, möchte man zurückfragen. Aber Losurdo schlägt den Weg derjenigen ein, die spätestens seit dem Erscheinen des „Schwarzbuches des Kommunismus“ versuchen, mit dem Umlenken des Blickes auf Kolonialismus, „Nazifaschismus“ (9) und Kapitalismus den Kommunismus aus der Kritik zu nehmen. Seiner Ansicht nach seien in der öffentlichen Debatte die „Schrecken des Hitlerregimes […] nur noch eine polemische Replik auf die Schrecken des Kommunismus, der wahren Erbsünde des 20. Jahrhunderts“ (10). Man hätte annehmen können, dass diese Frage gegenteilig bereits im Historikerstreit geklärt worden ist. Losurdo entwirft dann eine Deutung des 20. Jahrhunderts, mit der verschiedene historische Phänomene, die die Diskriminierung (Frauen) und gar Auslöschung von Menschen (Indianer) eint, subsumiert werden unter der Feststellung: „Die Kategorie Herrenvolk democracy kann auch zur Erklärung der Geschichte des Westens insgesamt herangezogen werden.“ (23 – leider vergisst er an dieser Stelle, etwa die Deportationen in der Sowjetunion zu bedenken). Vor dem Hintergrund der genannten Kategorie interpretiert Losurdo das 20. Jahrhundert über die „Verknüpfung von Schrecken und Emanzipation“ (42), wobei er die Betrachtung der totalitären Systeme im nationalsozialistischen Deutschland und der Sowjetunion (deren Gleichsetzung bezeichnet er allerdings als Dummheit [52]) mit dem Blick auf die USA mischt. Dieses Vorgehen, um Unterschiede zwischen Demokratie und Diktatur zu verwischen, ist aus vorherigen Büchern bekannt. In den folgenden Teilen des Textes arbeitet sich Losurdo weiter am „Schwarzbuch des Kommunismus“ ab, des Weiteren wird der Terror auf Rousseau zurückbezogen (oder auch nicht), um schließlich beim Embargo gegen den Irak zu landen. Im Namen der Demokratie sei „eine Art postmodernes Konzentrationslager“ (85) entstanden, nach UN‑Berechnungen seien dort 500.000 Kinder gestorben. Ein Ende solcher Tragödien sieht Losurdo nicht, sei doch „das naive Vertrauen“ (86) auf die von Marx geforderte große soziale Revolution verschwunden. Eine andere als die – bereits gescheiterte – kommunistische Lösung kommt ihm aber nicht in den Sinn.
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Rubrizierung: 2.22.232.612.622.312 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Domenico Losurdo: Das 20. Jahrhundert begreifen. Köln: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37959-das-20-jahrhundert-begreifen_44313, veröffentlicht am 15.01.2015. Buch-Nr.: 44313 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken