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Emmerich Tálos

Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Österreich 1933-1938

Wien/Berlin: Lit 2013 (Politik und Zeitgeschichte 8); 621 S.; 34,90 €; ISBN 978-3-643-50494-4
Im Jahr 2014 wird nicht nur an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu erinnern sein, sondern auch an den juristischen Abschluss eines folgenreichen politischen Umbruchsprozesses: Die Maiverfassung von 1934 läutete in Österreich formell das Ende des parlamentarischen demokratischen Systems ein. Die Regierung löste den National‑ und Bundesrat auf und ermächtigte sich selbst der Gesetzgebung. Politische Partizipation wurde ausgeschaltet; das Volk „erhielt“ (!) (83) eine neue Verfassung. Wie es dazu kam und wohin es führte, zeigt Emmerich Tálos in der bislang umfassendsten Monografie zum Thema Austrofaschismus. Was Tálos (gemeinsam mit Wolfgang Neugebauer) 1984 begonnen hat, findet nun einen – vorläufigen – Abschluss. Der Autor legt nicht nur kenntnisreich den aktuellen Forschungsstand dar, sondern wertet für seine Analyse auch den erst im Jahr 2010 von Moskau nach Wien transferierten Archivbestand der Vaterländischen Front aus. Er behandelt sämtliche Politikbereiche, erklärt detailreich Strukturen und Akteure und zeichnet somit ein Gesamtbild des austrofaschistischen Regimes und seiner totalitären Gestaltungsansprüche. Der Faschisierungsprozess in den 1920er‑ und 1930er‑Jahren wird bei Tálos ebenso beleuchtet wie der „doppelte Anschluss“; denn der Machtergreifung durch Hitler‑Deutschland 1938 war ein „Anschluss von innen“ (538) vorangegangen. Während den Stützen des Systems hierbei breiter Raum zukommt, vermisst man eine ebensolche Darstellung der Widerständigen. Auf sie blickt der Autor lediglich mit den Augen des Regimes und bringt sie anhand der Repressionspolitik zur Sprache. Tálos arbeitet Ähnlichkeiten und Unterschiede zum italienischen wie auch zum deutschen Faschismus heraus und beweist dadurch einmal mehr, dass der Austrofaschismus aufgrund genuin österreichischer Elemente diese Bezeichnung verdient. Angesichts des in der österreichischen Politik noch immer nicht unstrittigen Umgangs mit der Frage nach der Charakterisierung des Herrschaftssystems der Jahre 1933/34 bis 1938 ist Tálos‘ Buch nicht nur bereits jetzt auf Jahre hinaus ein politikwissenschaftliches Standard‑ und Nachschlagewerk, sondern auch eine klare politische Stellungnahme.
Tamara Ehs (TE)
Dr. phil., Politikwissenschaftlerin am IWK Wien und Lehrbeauftragte an der Universität Salzburg (http://homepage.univie.ac.at/tamara.ehs/)
Rubrizierung: 2.4 | 2.25 | 2.21 | 2.312 Empfohlene Zitierweise: Tamara Ehs, Rezension zu: Emmerich Tálos: Das austrofaschistische Herrschaftssystem. Wien/Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36056-das-austrofaschistische-herrschaftssystem_44336, veröffentlicht am 15.08.2013. Buch-Nr.: 44336 Rezension drucken