Das Bundesverfassungsgericht im Politikfeld Innere Sicherheit. Eine Analyse der Rechtsprechung von 1983 bis 2008
Seit einigen Jahren ist ein kleiner „Boom“ der politologischen Forschung zum Bundesverfassungsgericht zu beobachten. Rechtsprechungsanalysen sind jedoch selten; zu sehr hat sich der „Mainstream“ von inhaltlichen Fragen des Verfassungsrechts abgekoppelt, obwohl gerade hierdurch Verfassungsgerichte – und vor allem das deutsche – ihre politikgestaltende „Deutungsmacht“ (Vorländer, siehe Buch-Nr. 30294) ausüben. Schlögel hat erkannt, dass eine Rechtsprechungsanalyse angesichts der staatstheoretischen und machtpolitischen Kontroversen in der Inneren Sicherheit besonders lohnenswert ist, hat es doch hier – selten genug – sogar öffentliche „Schlagabtausche“ zwischen Gericht und Bundesregierung gegeben. Zwei Fragen stehen im Vordergrund: „Wie verhält sich das Bundesverfassungsgericht [in diesem] Politikfeld [...] und wie lässt sich dieses Verhalten erklären?“ (9) Der Untersuchungszeitraum reicht von der „Volkszählung“ (1983) über den „Bundesgrenzschutz“ (1998), den „Großen Lauschangriff“, die „Luftsicherheit“ und „Rasterfahndung“ (2004 bzw. 2006) bis zur einstweiligen Anordnung „Vorratsdatenspeicherung“ im Rahmen der Datenschutz-Entscheidungen (2008). Er umfasst also alle qualitativ wichtigen der letzten 25 Jahre, wenngleich außer der Reihe „Schleyer“ noch hätte aufgenommen werden sollen. Dabei wird vor allem auf den spieltheoretischen Ansatz nach Vanberg und das Modell der strategischen Zurückhaltung rekurriert, die Schlögel aber nicht für hinreichend hält, um den empirischen Befund zu erklären. Das betrifft vor allem den von ihr festgestellten Wandel in der Rechtsprechung von einer früher eher „‚etatistisch’“ ausgerichteten hin zu einer „betont bürgerrechtsfreundlichen“ (120) seit 2004, zusätzlich gebrochen aber durch die jeweiligen Senate: liberaler Erster und staatsbezogener Zweiter Senat. Als Erklärung bietet Schlögel eine normativ begründete richterliche „Angst um den Bestand des Rechtsstaats“ an (129), angesichts des inzwischen nahezu identischen Rufs nach mehr Sicherheit seitens der beiden Volksparteien. Das ist ohne Zweifel ein ganz wichtiger Punkt, gerät aber in der Akzentuierung etwas zu verklärend und droht so dem vom Gericht selbst produzierten Mythen aufzusitzen. Gleichwohl zeigt Schlögel sauber, dass ein gut Teil verbreiteter machtpolitischer Analyseansätze zu wenig tiefgründig ist.