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Cordula Kalmbach

Das Massaker erinnern. Katyń als lieu de mémoire der polnischen Erinnerungskultur

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2015; 308 S.; 59,95 €; ISBN 978-3-631-65871-0
Geschichtswiss. Diss. Freiburg i. Br.; Begutachtung: D. Neutatz. – „Ist der Schrecken noch fühlbar? Oder ist er verjährt?“ (281) Diese Fragen sind mit Blick auf die Verankerung des Massakers von Katyń in der polnischen Erinnerungskultur nach Ansicht von Cordula Kalmbach von zentraler Bedeutung für die Gegenwart – denn mit der Antwort entscheide sich, ob die Nation jetzt fähig ist, sich „in die Europäische Staatengemeinschaft zu integrieren oder ob sie noch mit ‚ihrem Chaos im kollektiven Gedächtnis‘“ (15) beschäftigt ist, wie sie Zdzisław Krasnodebski zitiert. Die Darstellung führt einmal mehr vor Augen, dass im Machtbereich der Sowjetunion Konflikte eingefroren wurden, die Gesellschaften sich in ihrem Wissen und ihrer Wahrnehmung nicht weiterentwickeln durften. Auf das Massaker von Katyń traf dies in besonderer Weise zu, zumal den Angehörigen 45 Jahre lang ein Beschweigen auferlegt wurde. Wie sich dies nach dem Sturz des sozialistischen Regimes änderte, aber auch welche Anknüpfungspunkte dann für die politische Instrumentalisierung gesucht und gefunden wurden, untersucht Kalmbach – gestützt auf die Auswertung von Sekundärliteratur – ausgehend vom Konzept der Erinnerungsorte nach Pierre Nora und angelehnt an die Definition eines kulturellen Gedächtnisses von Jan und Aleida Assmann. Die Bedeutung Katyńs als Erinnerungsort zeigt sich daran, so die Argumentation der Autorin, dass sich hier „Elemente des Totengedenkens sowie das Gedenken an die politische und nationale Niederlage Polens und die Ära des Kommunismus“ (91) verdichten. Nacherzählt werden die filmische Aufarbeitung durch Andrzej Wajda 2007 sowie die in literarischen Werken. Weiter wird gezeigt, dass an der Positionierung Katyńs als Erinnerungsort seit dem Systemwechsel vor allem die Angehörigen beteiligt sind, deren Trauer nun ohne Zensur Raum gegeben wird, sowie Politiker – im Prozess der Transformation konnte dieser hochpolitische Bereich, wie Kalmbach schreibt, kaum in Ruhe ohne politische Instrumentalisierung aufgearbeitet werden. Für Präsident Lech Kaczyński und seine nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit sei Katyń ein „innen‑ und außenpolitisches Steckenpferd“ gewesen, „das er mehrmals für seine Wahlkämpfe drastisch instrumentalisierte“ (257). Erst seit der Flugzeugkatastrophe von Smolensk, bei der Kaczyński ums Leben kam, habe sich der politische Zugang zu diesem Thema beruhigt und Donald Tusk sei es schließlich gelungen, mit Russland eine erste Verständigung zu erreichen. Die Entwicklung insgesamt sei geeignet, so die abschließende These, den Erinnerungsort Katyń als „Baustein“ (287) für die Republik und als Grundlage für die polnisch‑russischen Beziehungen zu etablieren.
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Rubrizierung: 2.612.234.222.62 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Cordula Kalmbach: Das Massaker erinnern. Frankfurt a. M. u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38895-das-massaker-erinnern_46960, veröffentlicht am 24.09.2015. Buch-Nr.: 46960 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken