Skip to main content
Jule Martin

Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit

Berlin: Duncker & Humblot 2012 (Schriften zum Öffentlichen Recht 1219); 277 S.; 68,- €; ISBN 978-3-428-13795-4
Rechtswiss. Diss. HU Berlin; Begutachtung: I. Pernice, U. Battis. – Im Mittelpunkt von Jule Martins Analyse steht das Konzept der gesellschaftlichen Selbststeuerung, das „auf eine arbeitsteilige Rechtsverwirklichung in Kooperation zwischen Bürger und Verwaltung“ (13) zielt. Dass dieser Ansatz einer „Verwaltung der Öffentlichkeit“ der deutschen Tradition fremd ist und mancherlei Widerstand provoziert – wie die Autorin zu Recht feststellt –, macht die Studie auch aus politik‑ und verwaltungswissenschaftlicher Perspektive interessant. Wie sehr sich die Thematik in der Schnittmenge zwischen den Disziplinen verorten lässt, verdeutlicht Martin bereits im ersten Kapitel, in dem sie in überzeugender Weise die Entwicklung des steuerungstheoretischen Paradigmas als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels seit den 1960er‑Jahren nachzeichnet. Der Problematik des kooperativen Staats, der in der Bundesrepublik nicht selten mit dem negativ konnotierten Begriff der Politikverflechtung assoziiert wird, widmet sie einen eigenen Abschnitt. Dabei konstatiert Martin eine Entwicklung von den Inhalten hin zu (kooperativen) Verfahren. Als eigentliche Wegbereiter des Konzepts der informierten Öffentlichkeit macht die Autorin aber das französische Verwaltungsprozessrecht und entsprechende Bürgerbeteiligungsrechte aus. Zudem hat sich auch der EuGH in diesem Feld durch verschiedene Urteile als Treiber und Anwalt einer informierten Öffentlichkeit erwiesen. Die konkrete Ausgestaltung des Konzepts, das inzwischen auch Eingang in das europäische Primär‑ und Sekundärrecht gefunden hat, ist aber angelehnt an das völkerrechtliche UNECE‑Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten – die sogenannte Aarhus‑Konvention. Dieses Abkommen beruht auf einer Drei‑Säulen‑Struktur: „Transparenz, Steuerung und Kontrolle“ (242). Martins Darstellung und Analyse ist auch deshalb aus politikwissenschaftlicher Perspektive von Interesse, weil sie auf anschauliche Weise zeigt, wie völkerrechtliche Vereinbarungen diffundieren, in europäisches und nationales Recht durchsickern und so zu einem sukzessiven Aufbrechen veränderungsresistenter Verwaltungsstrukturen, die über eine extrem historisch‑pfadabhängige Tradition verfügen, beitragen können. Damit leistet sie einen profunden rechtswissenschaftlichen Beitrag zur Diskussion über den Ausbau partizipativer Bürgerbeteiligungsverfahren, die im Windschatten des Schlichtungsverfahrens zu Stuttgart 21 eine neue Konjunktur erleben.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.5 | 3.1 | 3.4 | 2.21 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Jule Martin: Das Steuerungskonzept der informierten Öffentlichkeit Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35546-das-steuerungskonzept-der-informierten-oeffentlichkeit_42884, veröffentlicht am 13.02.2013. Buch-Nr.: 42884 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken