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David Shambaugh: China’s Leaders. From Mao to Now

26.07.2022
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Autorenprofil
Vincent Wolff, M.P.P.
Medford, Polity Press 2021

David Shambaugh zeichnet anhand prägender Führungspersönlichkeiten ein Porträt der politischen Geschichte Chinas. Dabei legt er den Fokus auf geschichtliche Entwicklungen sowie auf die daraus resultierende Sozialisierung der jeweiligen chinesischen Staatschefs, dies sei für das Verständnis der jeweiligen Politik von Mao Zedong bis Xi Jinping zentral. Ihm gelinge, findet Vincent Wolff, aus dieser Perspektive eine nachdrückliche Analyse mit Ausblick auf die Zukunft, die ihresgleichen suche und Interesse wecke, der chinesischen Politik stärker zu folgen. (tt)

Eine Rezension von Vincent Wolff

“I characterize Mao as a populist tyrant, Deng as a pragmatic Leninist, Jiang as a bureaucratic politician, Hu as a technocratic apparatchik, and Xi as a modern emperor” (1), fasst David Shambaugh seine Grundthese zusammen. Direkt im gleichen Zusammenhang macht der Autor klar, warum die chinesischen Staatsführer solch eine Bedeutung innehaben und warum dies politisch so besonders relevant ist. Denn politische Führer in totalitären Systemen hätten keine klassische Rechenschaft zu fürchten, die es in Demokratien gäbe. Daher seien sie in ihren Handlungen entschiedener und hätten einen außerordentlich großen Einfluss auf ihre jeweiligen Gesellschaften und über die eigenen Grenzen hinaus. Dies treffe insbesondere auf die chinesischen Staatschefs zu. Dabei macht Shambaugh klar, wohin er mit seinem Buch will: anhand der prägenden Persönlichkeiten der chinesischen Politik der letzten Jahrzehnte ein umfassendes Bild der politischen Geschichte zeichnen. Die chinesische Geschichte der letzten siebzig Jahre solle so anhand der Biografien fassbar werden. Insbesondere auf die Sozialisierung der jeweiligen Persönlichkeiten legt der Verfasser viel Wert, diese sei entscheidend für ihre jeweilige Politik.

David Shambaugh beginnt seine Geschichte mit Mao. Mao Zedong sei selbst im internationalen Vergleich einzigartig, vor allem auf Grund der Tatsache, dass Mao zwischen Revolte und Staatsführung keinen Unterschied gesehen habe. Seine Überzeugung, dass revolutionäre Systeme automatisch bürokratisiert würden, und damit verkrusteten, und von Eigeninteressen getrieben würden, prägte sein Handeln. Diese Tendenz habe Mao während seiner gesamten Führungszeit entschieden bekämpft. Dabei sei er kein Kaiser, wie zahlreiche Vorgänger, gewesen – im Gegenteil, Maos Regentschaft stünde der chinesischen Vergangenheit diametral entgegen. Das Herzstück seiner Amtszeit sei die Kulturrevolution gewesen und die Zerstörung alter Bräuche, alter Kultur, alter Traditionen und alter Ideen: „destroy the four olds“ (28). Mao hätte die dreitausendjährige Gesichte Chinas als Problem gesehen und sei angetreten, diese zu überwinden. Dabei sei er Trotzkist gewesen, mit dem Glauben an die permanente Revolution. Diese Prämisse habe sich bis heute nicht grundlegend geändert, die heutige kommunistische Partei Chinas stünde immer noch auf den gleichen Annahmen von souveräner Unabhängigkeit, Nationalismus, wiedergewonnener Würde und Respekt, sowie einer Identität als Großmacht. Dabei könne man die sowjetischen Einflüsse nicht unterschätzen, trotz der konfliktbehafteten gegenseitigen Geschichte. China wurde unter Mao nach sowjetischem Vorbild umgebaut, zahlreiche Strukturelemente und -vorgänge wurden bis heute direkt aus der Sowjetunion übernommen. Mao habe es geschafft, eine Nation zu einen – um sie später im Zuge zahlreicher Kampagnen zu zerreißen, so Shambaugh.

Der Autor befasst sich in dem Werk mit ausgewählten Staatsführern, erklärt aber ausführlich zu Beginn jedes Kapitels die Übergangslösungen. Laut Shambaugh sei die chinesische Politik bereits zu Frühzeiten von wenigen entscheidenden Playern geprägt worden, zwischen deren Amtszeiten einige Übergangsherrscher geführt hätten. So analysiert Shambaugh auch die jüngere chinesische Politik und leitet quasi von Mao Zedong auf Deng Xiaoping über, erzählt aber dennoch ausführlich die Geschichte von Hua Guofeng, dem von Mao ernannten Nachfolger, der historisch als glücklose Übergangslösung gilt. Deng hingegen hätte von Mao gelernt und sich einem Reformkurs verschrieben – durchaus bemerkenswert, war Deng doch selbst Opfer der politischen Verfolgung unter Mao Zedong. Deng habe aber für sich konsequente Schlüsse gezogen. Statt 5.000 Jahre tiefsitzender Überzeugungen ändern zu wollen, sei Deng angetreten, um diese zu tolerieren und bestehende Traditionen für moderne Zwecke zu nutzen, vor allem das tief verwurzelte Unternehmertum. Deng baute die Wirtschaft um und setzte auf die Konsumgüterproduktion, um so die Befriedigung individueller Bedürfnisse ins Zentrum zu stellen. Damit gingen auch vorsichtige politische Reformen einher, vor allem im Staatsapparat: Deng war in der chinesischen Führung primus inter pares. Dies alles endete allerdings mit dem Tian‘Sanmen-Massaker, für das sich Deng Xiaoping politisch verantwortlich zeichnete. Der Deng nachfolgende Jiang Zemin werde unterschätzt, so David Shambaugh. Jiang habe vergleichsweise viel erreicht und als Bürokrat Substanzielles umgesetzt, auch wenn ihm dies selten zugestanden werde. Dennoch habe er gegen Ende seiner zehnjährigen Amtszeit im Schatten des kommenden Hu Jintao gestanden. Letzterer sei im Großen und Ganzen eine Enttäuschung gewesen, schreibt Shambaugh: „Hu held office but did not wield power“ (211). Trotz zehnjähriger Vorbereitung auf das Amt, sei es Hu nicht gelungen, sich eine eigene Machtbasis zu erarbeiten und effektive Politik zu machen. Unter dem gegenwärtigen Staatschef sei das anders: „Under Mao the Chinese people stood up, under Deng Xiaoping the Chinese people became rich, under Xi Jinping the Chinese people become strong” (258). Der Autor zeichnet den Werdegang und Aufstieg Xis nach und damit das Bild eines überzeugten Stalinisten, der in die 1950er-Jahre zurückmöchte. Das könne nach hinten losegehen: Die Revolution der steigenden Erwartungen habe nicht selten Diktatoren-Träume beendet, konstatiert Shambaugh. Sollte sich dies bewahrheiten, sei es an der Zeit für ein zweites Werk, so der Verfasser.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Shambaugh hat mit diesem Buch eine ultimative Abhandlung über die führenden politischen Vertreter (allesamt Männer) der letzten Jahrzehnte geschrieben, die seinesgleichen sucht. Dieses Werk richtet sich an alle Leser*innen, die Interesse an chinesischer Politik und Geschichte mitbringen. Dabei bietet dieses Buch sowohl für Einsteiger*innen als auch für Expert*innen einen erheblichen Mehrwert, vor allem um das China von heute zu verstehen. Das Buch ist umfassend, aber nie kleinteilig. Große Ereignisse werden kurz, aber prägnant dargestellt, nie verliert sich der Autor in Details. Der Schwerpunkt liegt dabei mehr auf den geschichtlichen Entwicklungen als auf der Gegenwart. Das bedeutet, dass die gewaltsame Unterdrückung der Uiguren beispielsweise nur am Rande abgehandelt wird. Insgesamt bietet Shambaugh aber Raum für vorsichtigen Optimismus, schränkt diesen jedoch umgehend ein: Eine Demokratisierung sei nicht vorstellbar, im besten Falle könne man mit vorsichtigen Liberalisierungen rechnen. Große Bedeutung kommt hingegen der Prognose zu den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu: Shambaugh kategorisiert Xi Jinpings Politik als ein Zeichen der Schwäche, seine Totalisierungsbestrebungen seien Zeichen von Angst und würden ultimativ scheitern. Ein gewagter Ausblick. Shambaughs Werk erhöht in jedem Fall das Interesse, der chinesischen Politik stärker zu folgen.

 

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