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Demokratie und Frieden

Autokratie vs. Demokratie:
Das Wiederaufkommen der Systemkonkurrenz

Die repräsentativen Demokratien stehen heute einer wachsenden Zahl von mehr oder weniger autoritär regierten Staaten gegenüber. Dafür gibt es mindestens drei Ursachen: (1) Viele der in den 1990er-Jahren begonnenen Transformationen in Richtung Demokratie und Rechtsstaat sind gescheitert; (2) manche bislang als gefestigt geltende repräsentative Demokratien durchlaufen einen Prozess der politischen Polarisierung, der dazu führt, dass einzelne politische Kräfte versuchen, ihre Machtposition durch außerkonstitutionelle Mittel zu verstetigen; (3) der Aufstieg des autoritär bis totalitär regierten Chinas zur Weltmacht hat dazu geführt, dass die Instrumente der westlichen Welt zur Demokratieförderung immer weniger greifen und sich China (in Teilen) als erfolgreiches Gegenmodell zur westlichen Demokratie positionieren konnte.

Diktatoren, Autokraten und auch autoritär regierende, gewählte Politiker in illiberalen Demokratien lehnen heute das liberal-demokratische Konzept selbstbewusst ab. Die westlichen, repräsentativen Demokratien seien dekadent und aufgrund ihrer unüberschaubar gewordenen Pluralität und übertriebenen Gerechtigkeits- und Gleichheitsideologie immer weniger zu einer zukunftsorientierten politischen Gestaltung in der Lage. Sie preisen stattdessen Modelle der gelenkten Demokratie oder der autoritären Herrschaft an, die eine gesunde Wirtschaft und Gesellschaft hervorbringe, während die westliche Welt ihrem Niedergang entgegensehe. Die Kollektivierung von Wertvorstellungen sowie die Kontrolle über Medien, Judikative, Verwaltung und das Ausschalten von Oppositionellen werden im Konstrukt „autoritärer Gesellschaftsverträge“ mit dem Versprechen auf Wohlstandssteigerung verbunden und sollen zudem Machtgewinn in der internationalen Politik garantieren.

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Liberale Demokratien fußen nicht nur auf der Idee, dass ihre Bürger unveräußerliche Rechte gegenüber dem Staat und alle Staaten souveräne Gleichheitsrechte untereinander besitzen. Sie müssen auch staatliche Leistungen erbringen, und sie müssen ein Gleichgewicht zwischen den vielen weltanschaulichen und materiellen Interessen herstellen können. Eine funktionierende Demokratie bedarf zudem einer breiten Mittelschicht und programmatisch breit aufgestellter großer Parteien, die beide zu einer Mäßigung des politischen Klimas beitragen. Viele westliche Demokratien tun sich derzeit schwer damit, die erforderlichen Leistungen zu erbringen. Infolge globaler Entwicklungen sind die bislang vorherrschenden Voraussetzungen dafür immer weniger gegeben und auch die Mittelschichten sind heute weniger dominierend als früher. Stattdessen sind immer häufiger Polarisierungen ideologischer Natur zu beobachten. Die Kohäsionswirkung und Vermittlungsrolle großer Parteien schwindet zudem.

Trotz dieser offenkundigen Defizite repräsentativer Demokratien sind die Versprechen autoritärer Politik zumeist auf Sand gebaut. In den meisten autoritär regierten Ländern und selbst in defekten Demokratien werden die Versprechen autoritärer Gesellschaftsverträge in der Regel nicht eingehalten. Tatsächlich wird Politik häufig zur Selbstbereicherung der herrschenden politischen Klasse genutzt. Um die sich daran entwickelnde Opposition zu neutralisieren, tendieren autoritär regierte Staaten dazu, die Zügel immer stärker anzuziehen und Opposition zu kriminalisieren oder zu zerschlagen. Eine weitere Gefahr besteht darin, dass autoritäre Regierungen von Großmächten durch die Aktivierung nationalistischer und militaristischer Ressentiments zu internationalen Irrlichtern oder gar Friedensstörern werden. Die Konkurrenz zwischen offenen oder geschlossenen Gesellschaften wird somit auch durch offene Konflikte ausgetragen.

Dieses Themenfeld befasst sich daher gleichermaßen mit den inneren politischen Strukturen von Autokratien, mit Fragen der Transition und Transformation sowie den Ausprägungen und Wirkungen systemischer Unterschiede zwischen Autokratien und Demokratien, die sich im Schnittfeld von Demokratie und Frieden abseits strategischer Konkurrenz ergeben.

Rezension / Sven Leunig / 20.07.2023

Melani Barlai, Florian Hartleb, Dániel Mikecz: Das politische System Ungarns

Baden-Baden, Nomos Verlag 2023
Mit diesem Lehrbuch für angehende Forscher*innen möchten Melani Barlai, Florian Hartleb und Dániel Mikecz das Regierungssystem Ungarns „nüchtern, aber doch faktenreich analysieren“, indem es die Entwicklungen seit 2010 unter die Lupe nimmt. Sven Leunig hat das Buch für uns gelesen, welches einen Bogen zwischen institutionellen und gesellschaftlichen Änderungen spannt und dabei stets nach...
Rezension / Falk Hartig / 30.05.2023

Andrew Small: The Rupture. China and the Global Race for the Future

London, Hurst Publishers 2022
Unsere Gegenwart ist maßgeblich davon geprägt, wie sich die zunehmenden Spannungen und Konflikte zwischen China und dem Westen entwickeln. Andrew Small hat mit „The Rupture: China and the Global Race for the Future“ eine aufschlussreiche Darstellung der sich verändernden Beziehungen zwischen China und dem Rest der Welt vorgelegt, lobt unser Rezensent Falk Hartig. Small gehe dabei bis in die...
Rezension / Tanja Thomsen / 18.01.2023

Mark Galeotti: Die kürzeste Geschichte Russlands

Berlin, Ullstein Taschenbuch Verlag 2022
Ob Kiewer Rus, das Zarenreich der Romanows, Lenins kommunistische Revolution, Stalins Terror, der Raubtierkapitalismus der 1990er-Jahre oder die post-sowjetische Autokratie Putins: Mark Galeotti gibt in diesem Buch eine Übersicht über die wichtigsten Eckpunkte der russischen Geschichte und liefert pointierte Einblicke in die Entwicklungslinien staatlicher (Selbst-)Erzählungen in Russland. ...
Rezension / Arno Mohr / 05.10.2022

Hubert Seipel: Putins Macht. Warum Europa Russland braucht

Hamburg, Hoffmann und Campe 2022
Die Ausführungen Hubert Seipels stoßen bei unserem Rezensenten Arno Mohr auf Unverständnis und Kritik. Zwar sei Seipel „ein renommierter, vielfach ausgezeichneter investigativer Fernsehjournalist“, doch habe er in „Putins Macht“ eine „‚verkehrte Welt‘“ konstruiert, in der er Russland die Rolle des „Guten“ und dem Westen die des „Bösen“ beimesse. So schreibe Seipel, dass...
Rezension / Vincent Wolff / 09.09.2022

Walter Laqueur: Putinismus. Wohin treibt Russland?

Aus dem Englischen übersetzt von K.-D. Schmidt. München, Propyläen 2022
Walter Laqueur trägt mit seiner bereits 2015 erschienenen Analyse „Putinismus. Wohin treibt Russland?“, 2022 mit Vorwort von Karl Schlögel neu verlegt, posthum zum Behaviorismus des darauf beruhenden Herrschaftssystems bei. Fokussiert werden hierzu innere Faktoren, wie Historie, Ideolog(i)en und nicht zuletzt Profiteure: Geheimdienstler, Oligarchen, die russisch-orthodoxe Kirche und Militär...
Rezension / Eileen Böhringer / 27.07.2022

Rosalind Dixon / David Landau: Abusive Constitutional Borrowing: Legal Globalization and the Subversion of Liberal Democracy

Oxford, University Press 2021
Grundrechte finden sich in nahezu allen Verfassungen. Auch in antiliberalen Staaten. Rosalind Dixon und David Landau erklären dies mit dem Phänomen „abusive constitutional borrowing“: Die Aneignung von demokratischen Institutionen und Ideen als Inspirations- und Legitimationsquelle ermögliche Antiliberalen und Autokraten, eigene Ziele zu erreichen. Im Zusammenspiel von Fallbeispielen sowie ...
Rezension / Vincent Wolff / 26.07.2022

David Shambaugh: China’s Leaders. From Mao to Now

Medford, Polity Press 2021
David Shambaugh zeichnet anhand prägender Führungspersönlichkeiten ein Porträt der politischen Geschichte Chinas. Dabei legt er den Fokus auf geschichtliche Entwicklungen sowie auf die daraus resultierende Sozialisierung der jeweiligen chinesischen Staatschefs, dies sei für das Verständnis der jeweiligen Politik von Mao Zedong bis Xi Jinping zentral. Ihm gelinge, findet Vincent Wolff, aus di...
Sammelrezension / Max Lüggert / 03.06.2022

Probleme in demokratischen Systemen. Ursachen für ihre Transformation in Autokratien

In seiner Doppelrezension bespricht Max Lüggert mit „After Democracy“ von Zizi Papacharissi und „Popular Dictatorships“ von Aleksandar Matovski zwei Bücher, die sich mit der Demokratie und ihren Herausforderungen beschäftigen. „After Democracy“ komprimiert persönliche Gespräche, die Papacharissi in verschiedenen Ländern mit Menschen zum Thema Demokratie und Staatsbürgerschaft ge...
Rezension / Sven Leunig / 03.02.2022

Ellen Bos / Astrid Lorenz (Hrsg.): Das politische System Ungarns. Nationale Demokratieentwicklung, Orbán und die EU

Wiesbaden, Springer VS 2021
Ellen Bos und Astrid Lorenz legen eine deutschsprachige Überblicksdarstellung zum politischen System Ungarns vor, die aktuelle Entwicklungen mit einbeziehe. Damit schließen sie eine Lücke, wie Rezensent Sven Leunig schreibt. Er ordnet die zentralen Aussagen der Aufsätze mit Blick auf die Entwicklung zum „illiberalen Staat“ Viktor Orbáns ein. Letztere habe bereits vor 2010 eingesetzt. So s...
Rezension / Rainer Lisowski / 02.11.2021

Nele Noesselt: Chinese Politics. National and Global Dimensions

Baden-Baden, Nomos 2021
Nele Noesselt will in die Politik Chinas einführen, so Rezensent Rainer Lisowski. Damit meine sie nicht nur das Regierungssystem im engeren Sinne, sondern auch die innenpolitischen Schwerpunktthemen und die außenpolitische Positionierung der Volksrepublik im frühen 21. Jahrhundert. Ergeben habe sich eine „Lehrbuchmischung aus China Studies und Politikwissenschaft“. Das chinesische politisch...

Autokratie vs. Demokratie: Das Wiederaufkommen der Systemkonkurrenz


Veröffentlichungen


Studie / Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller, Elmar Brähler (Hrgs.) / 2022

Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten Neue Herausforderungen – alte Reaktionen?

Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung (KreDo)

Die Leipziger Autoritarismus Studie erhebt seit 2002 die Verbreitung demokratieablehnender Einstellungen in Deutschland.

Literatur / Armin Schäfer, Michael Zürn / 2021

Die demokratische Regression

Suhrkamp

National-autoritäre Parteien ziehen Menschen weltweit in ihren Bann, sodass sich die beiden Autoren mit gängigen Erklärungsansätzen hierzu auseinandersetzen.

Report / seit 1973 jährlich

Freedom in the World

Freedom House

In diesem jährlichen Report bewertet Freedom House die Lage der politischen Rechte und bürgerlichen Freiheiten in über 200 Ländern.


Forschungseinrichtungen und Think Tanks


Göttinger Institut für Demokratieforschung

Wissenschaftliche Analysen, Didaktik und Beratung aus dem Universitätsdiskurs für Gesellschaft, Politik und Öffentlichkeit.

Mainzer Zentrum für empirische Demokratieforschung (MZeDf)

Daten, Fakten und Argumente zum Zustand der Demokratie auf nationaler und internationaler Ebene.

Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. an der TU Dresden (HAIT)

Forschung zu den Voraussetzungen und gesellschaftlichen Nachwirkungen des Totalitarismus als Herrschaftssystem in Nationalsozialismus und Kommunismus.


Weiterführende Links
 


BTI Transformationsindex der Bertelsmann-Stiftung

Analysen zu Transformationsprozessen weltweit in den Bereichen Demokratie und Marktwirtschaft.

Forschungsjournal Soziale Bewegungen – Analysen zu Demokratie und Zivilgesellschaft (FJSB)

Demokratisierungs- und Sozialforschung zu Bewegungen aus der Perspektive der politischen Soziologie.

Dossier des German Institute for Global and Area Studies (GIGA): Autoritärer Wandel

Die demokratische Regression nimmt zu, wo Repressionen gegen zivilgesellschaftliche Organisationen auch in formal demokratischen Staaten stattfinden.

RadioFreeEurope/RadioLiberty

Die US-amerikanische Organisation widmet sich der Förderung von Demokratie und Menschenrechten, in dem sie aus Ländern berichtet, in denen keine freie Presse existiert oder die Pressearbeit eingeschränkt ist.

Freedom House

Die US-amerikanische Organisation widmet sich weltweit der Förderung und dem Schutz der Demokratie.