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Taylan Yildiz

Demokratie und Staatstechnik. Eine praxeologische Rekonstruktion von Regime-Hybridität in der Türkei

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2012 (Weltregionen im Wandel 13); 237 S.; 39,- €; ISBN 978-3-8329-7484-8
Diss. Bremen; Begutachtung: H. Dittgen, F. Nullmeier, F. W. Rüb. – Angesichts der Verfasstheit der Türkei zwischen demokratischen Institutionen und einer nach wie vor durchgreifenden Autorität der Armee ergeben sich immer wieder Irritationen. Das, was aus ihr ein Musterbeispiel für die gelungene Demokratisierung eines islamisch geprägten Landes machen könnte – die Republikvorstellung nach französischem Vorbild – führt durch die Überbetonung des Militärs als Garant der Verfassung zu einer Prekarisierung der demokratischen Praxis. Yildiz analysiert dieses prekäre Gefüge, indem er die türkische Demokratie nicht nur – klassisch-konservativ – anhand von empirischen Umfrage- oder anderen Kenndaten zu fassen versucht. Vielmehr zielt sein Ansatz auf eine politisch-kulturelle Einbettung dieser Empirie, die er über die zusätzliche Betrachtung – medial vermittelter – Narrative und der durch sie ermöglichten Herrschaftspraktiken erreichen will. Dieser „praxeologische“ (207) Ansatz, der ein breites Praxisverständnis mit einer daran unmittelbar anschließenden Theoriebildung koppelt, ermöglicht es ihm, die Verwendung eines westlich vorgeprägten Demokratieverständnisses zu vermeiden. Mit einer solchen auf die türkische Verfassungswirklichkeit zugeschnittenen Perspektive verdeutlicht Yildiz, dass eine strikte Entgegensetzung von demokratischen Prinzipien und autoritären Praktiken die Komplexität des türkischen Gefüges kaum adäquat widerzuspiegeln vermag. Angesichts des türkischen „Sicherheitspaternalismus“ sei jeweils situativ zu fragen, ob unter bestimmten Bedingungen „demokratische Grauzonen“ (211) nicht doch das Adjektiv demokratisch verdienen. Notwendig werde ein solcher Perspektivwechsel etwa dann, wenn es um Kriseninterventionen zur Rettung des demokratischen Institutionengefüges und seiner Verfassung – also um den klassischen Ausnahmezustand – gehe. Mit dem von ihm etablierten Konzept der „praxeologischen Demokratieforschung“ (78) will der Autor also jenseits normativer Begrifflichkeiten die Grenzbereiche demokratischen Regierens analytisch angepasst ausloten. Exemplarisch deutlich wird das etwa mit Blick auf die Interventionswilligkeit des Militärs, das sich bereits zweimal an die Macht putschte. Adäquat zu verstehen ist, da ist Yildiz zuzustimmen, ein solches Vorgehen nicht, wenn man sich nicht analytisch um die politisch-kulturellen Narrative – um Laizismus und Kemalismus – bemüht, mit denen solche Interventionen gerechtfertigt werden. Es bleibt die Frage offen, ob und wie nicht doch Demokratie substanziell zu füllen ist – trotz aller analytischen Flexibilität und Dehnbarkeit.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.63 | 2.2 | 2.21 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Taylan Yildiz: Demokratie und Staatstechnik. Baden-Baden: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/35279-demokratie-und-staatstechnik_42493, veröffentlicht am 16.08.2012. Buch-Nr.: 42493 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken