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Claudia Wiesner

Demokratisierung der EU durch nationale Europadiskurse? Strukturen und Prozesse europäischer Identitätsbildung im deutsch-französischen Vergleich

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2014 (Demokratiestudien. Demokratie und Demokratisierung in Theorie und Empirie 4); 496 S.; 79,- €; ISBN 978-3-8487-0536-8
Habilitationsschrift Marburg; Begutachtung: M. Bös, P. Schmidt. – Der Ansatz von Claudia Wiesner, „nationale Europadiskurse“ als „Medien der Konstruktion europäischer Identität“ (21) zu untersuchen, scheint vielversprechend. Unter Rückgriff auf Erkenntnisse verschiedener politikwissenschaftlicher Forschungsstränge gelingt es ihr, eine Verknüpfung zwischen individueller Mikro‑ und gesellschaftlicher Makroebene herzustellen. Gleichzeitig entgeht sie so der leidigen Debatte über Existenz und Bedeutung eines europäischen Demos für die Herausbildung einer europäischen Identität, die dennoch kritisch problematisiert wird. Ihr „dual‑case‑design“ (22), mit dem sie zwei sehr unterschiedliche Gründungsstaaten der EU in den Fokus nimmt, beruht auf einer Diskursanalyse. Dazu wird die Berichterstattung in jeweils vier ausgewählten deutschen und französischen Qualitätszeitungen zum Verfassungsreferendum in Frankreich 2005 sowie zur Ratifikation der EU‑Verfassung in der Bundesrepublik im selben Jahr untersucht. Obwohl es sich bei der Buchausgabe um eine gekürzte Fassung der Habilitation handelt, gerät die Analyse stellenweise etwas ausladend und redundant. Dies liegt jedoch auch an Wiesners Anspruch, einen Beitrag zur Weiterentwicklung der diskursanalytischen Methodendiskussion leisten zu wollen. In der Tat zeugen ihre kompilierenden Gegenüberstellungen der verschiedenen theoretischen und methodischen Ansätze von einem beachtlichen Überblick. Verschiedentlich fühlt man sich bei der Lektüre jedoch mehr an ein Lehrbuch erinnert, wozu nicht zuletzt auch die etwas inflationäre Verwendung diverser Textkästen zur Hervorhebung zentraler Definitionen, Analyseschritte und Ergebnisse dient. Gleichwohl bleibt anzuerkennen, dass Wiesner eine sehr strukturierte Analyse der beiden länderspezifischen Diskurse gelingt. So wird erkennbar, dass die deutsche Diskussion im Jahr 2005 sehr stark durch die von den politischen Eliten aus Bundesregierung und Bundestag verfolgte „silencing strategy“ (433) geprägt wurde und dabei – im Vergleich zu Frankreich – nur geringe Resonanz selbst in den Medien erzeugte. Die breite Anteilnahme von Akteuren der Zivilgesellschaft in Frankreich dagegen erklärt wohl auch, dass dort – im Gegensatz zur Bundesrepublik – eine Aufladung des Diskurses durch emotionale Momente, Stereotypen, Protestformen und (nationale) Symbole stattfand, die bei der Abgrenzung von der EU Verwendung fanden.
Henrik Scheller (HS)
Dr. phil., Dipl.-Politologe, wiss. Mitarbeiter, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl Politik und Regieren in Deutschland und Europa, Universität Potsdam.
Rubrizierung: 3.73.12.612.222.32.331 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Claudia Wiesner: Demokratisierung der EU durch nationale Europadiskurse? Baden-Baden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37097-demokratisierung-der-eu-durch-nationale-europadiskurse_44730, veröffentlicht am 22.05.2014. Buch-Nr.: 44730 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken