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Der Iran nach dem Atom-Deal. Eine bleibende strategische Bedrohung

26.06.2017
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Sven-Eric Fikenscher

Nach langen und zähen Gesprächen konnten die Unterhändler der P-5 plus 1 (sprich der fünf ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates und Deutschlands) sowie des Irans am 14. Juli 2015 einen Durchbruch in den Verhandlungen über die Begrenzung des iranischen Atomprogramms bekanntgeben. Die erzielte Übereinkunft mit dem Namen Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) schränkt Irans nukleare Aktivitäten für einen Zeitraum von bis zu 15 Jahren ein und verpflichtet das Land zur Einhaltung weitreichender Transparenz-Kriterien, während es im Gegenzug die seit Langem angestrebten Sanktionserleichterungen erhält. Bisher wurde der JCPOA größtenteils planmäßig umgesetzt. Die International Atomic Energy Agency (IAEA) erklärte am 16. Januar 2016, dass der Iran sein Nuklearprogramm entsprechend der vereinbarten Vorgaben (vor allem mit Blick auf die Menge an leicht angereichertem Uran und die Anzahl der Zentrifugen) reduziert hat. Im Gegenzug haben die Vereinigten Staaten und die Europäische Union ihre nuklearbezogenen Sanktionen außer Kraft gesetzt. Die vom Weltsicherheitsrat verhängten Zwangsmaßnahmen wurden bis auf wenige im JCPOA klar benannte Ausnahmen im Rahmen einer neuen Resolution (2231) ebenfalls aufgehoben.

Trotz der erfolgreichen Implementierung des Abkommens traten einige Konflikte zwischen den beiden zentralen Akteuren – dem Iran und den Vereinigten Staaten – über die konkreten Pflichten des jeweiligen Gegenparts auf. So gab es beispielsweise Meinungsverschiedenheiten über den Test iranischer Raketen, die sich prinzipiell auch zum Transport nuklearer Sprengköpfe eignen. Die Raketen-Thematik wird im JCPOA zwar nicht behandelt, allerdings ruft die Resolution 2231 den Iran dazu auf („Iran is called upon“), von derartigen Tests abzusehen. Die US-Regierung verurteilte daher einen entsprechenden iranischen Raketentest kurz nach dem Amtsantritt von Donald Trump als Verstoß gegen Resolution 2231, aber nicht gegen den JCPOA. Die iranische Regierung beschuldigte die Vereinigten Staaten indes, das Abkommen verletzt zu haben, weil einige der US-amerikanischen Sanktionen, insbesondere Zwangsmaßnahmen, die aufgrund von Irans Unterstützung terroristischer Akteure verhängt worden sind, weiterhin Anwendung finden. Aus diesem Grund, so die Beschwerde von Teheran, ist das iranische Bankensystem von der internationalen Gemeinschaft immer noch größtenteils isoliert.

Die zentralen Vorgaben des JCPOA sind dennoch eingehalten worden. Die IAEA bescheinigte dem Iran zuletzt, die Grenzen des JCPOA im Rahmen seiner aktuellen Nuklearaktivitäten nicht überschritten zu haben, obwohl kleinere Aspekte noch final geklärt werden müssen. Die P-5 plus 1, inklusive der Vereinigten Staaten, haben sich mit Blick auf die Sanktionserleichterungen trotz gegenteiliger iranischer Beschuldigungen stets an den genauen Wortlaut der Übereinkunft gehalten. Letztere verpflichtet die USA nur zur Aufhebung der Zwangsmaßnahmen, die aufgrund des iranischen Nuklearprogramms verhängt worden sind. Der damalige US-Außenminister John Kerry hat sich dennoch bemüht, den diesbezüglichen Konflikt zu entschärfen, indem er europäische Banken dazu ermutigte, wieder Geschäftsbeziehungen mit iranischen Partnern aufzunehmen.

Obwohl Donald Trump das Abkommen im Wahlkampf noch vehement abgelehnt und angekündigt hatte, es neu aushandeln zu wollen, hat auch seine Administration bislang davon abgesehen, den JCPOA infrage zu stellen. Seine wichtigsten außen- und sicherheitspolitischen Regierungsmitglieder haben in ihren Anhörungen vor dem Senat zudem bekundet, an der Übereinkunft festhalten zu wollen. Verteidigungsminister James Mattis, der in der Vergangenheit für eine harte Linie gegenüber dem Iran plädiert hatte, bezeichnete den JCPOA als „suboptimales Rüstungskontroll-Abkommen“, stellte aber gleichzeitig klar, an dessen Einhaltung nicht rütteln zu wollen. „Wenn Amerika sein Wort gibt,“ so der frühere General, „müssen wir uns daran halten.“ Auch Außenminister Rex Tillerson und CIA-Direktor Mike Pompeo, der in seinem vorherigen Amt als Abgeordneter noch zu den schärfsten Kritikern des Nukleardeals zählte, ließen durchblicken, dass sie eine Aufkündigung des JCPOA nicht befürworten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass seit der Aushandlung des JCPOA zwar einige ernstzunehmende Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran zu beobachten waren, dennoch hat sich die Übereinkunft bis zum jetzigen Zeitpunkt als recht stabil erwiesen. Sowohl die P-5 plus 1 als auch der Iran haben ein naheliegendes Interesse daran, auch in Zukunft an dem Abkommen festzuhalten. Während die P-5 plus 1 lange für eine Begrenzung des iranischen Atomprogramms gekämpft haben, betonte die iranische Regierung unter Führung von Präsident Hassan Rowhani sowie Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei vor allem ein Ende der westlichen Sanktionspolitik herbeigesehnt zu haben. Trotz ihrer Beschwerden über den genauen Umfang der Sanktionserleichterungen dürfte ihr Handeln daher weiterhin von der Furcht vor einer Wiedereinführung der wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen geprägt sein.

Im Lichte der Stabilität des JCPOA drängt sich die Frage auf, welche Folgen mit dem Abkommen einhergehen. Nach dem Abschluss der Verhandlungen gab es bereits eine kontroverse und mitunter emotionale Debatte über seine Stärken und Schwächen. Der Streit entzündete sich erwartungsgemäß in erster Linie an den Details zur Begrenzung und Überwachung von Irans Nuklearaktivitäten. Was für die Befürworter des Deals eine weitreichende Limitierung darstellte, war für die Gegner völlig ungenügend und würde – in Kombination mit unzureichenden Inspektionen – eine baldige Verletzung des Abkommens ermöglichen. So wichtig diese Diskussion ist, die entscheidenden Argumente für beide Positionen sind, vor allem in der US-amerikanischen Öffentlichkeit sowie in der dortigen akademischen Community, bereits oftmals benannt worden. Diese Überlegungen werden im zweiten Abschnitt kurz reflektiert, um die grundsätzliche Gefahr abschätzen zu können, die nach wie vor von dem Atomprogramm des Irans ausgeht.

Im Zentrum dieses Beitrags steht dagegen die Frage nach den Folgen des JCPOA für die strategische Ausrichtung von Irans Außen- und Sicherheitspolitik. Kritiker wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu haben darauf hingewiesen, dass der Iran durch das Abkommen „Hunderte von Milliarden“ erhalten werde. „Diese Finanzspritze“, so Netanjahu, „wird Irans weltweite Terroraktivitäten befeuern“. Auch die Obama-Administration hielt den Iran für „eine fundamentale Gefahr“ für die regionale Stabilität, wie John Kerry kurz nach Aushandlung des Nukleardeals einräumte. Gleichzeitig charakterisierte der damalige US-amerikanische Außenminister den JCPOA aber als „Heilmittel“, welches den moderaten Kräften im Iran genug Spielraum geben könnte, um einen kooperativen Wandel in der strategischen Ausrichtung des Landes herbeizuführen. Sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschawad Zarif habe ihm mitgeteilt, so Kerry, dass ihn ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen in seiner Position ausreichend stärken würde, um „regionale Themen“ anzugehen und diesbezüglich mit den USA zu kooperieren. Bei einem Besuch des damaligen Bundesaußenministers Frank-Walter Steinmeier im Herbst 2015 äußerte sich Präsident Rowhani ähnlich. Der Iran und Deutschland sollten Rowhani zufolge „miteinander kooperieren, um regionale und internationale Probleme zu lösen.“ Das gelte insbesondere für einen „effektiveren Kampf gegen Terrorismus“.

Die Rowhani-Administration hatte allen Grund, auch europäische Vertreter in ihrem Optimismus, der Kerrys Erwartungen sogar noch um ein Vielfaches übertraf, zu bestärken. Die Hohe Repräsentantin für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini reiste bereits zwei Wochen nach Abschluss der Verhandlungen in den Iran und erklärte den Beginn von „hochrangigen Gesprächen zwischen dem Iran und der Europäischen Union über verschiedene Themen, inklusive Energiekooperation, Menschenrechte, Maßnahmen gegen Terrorismus und regionale Themen“. An anderer Stelle sprach sie von „einem neuen Kapitel“ in den Beziehungen zwischen dem Westen und dem Iran sowie der Chance auf eine komplette Neuordnung der sicherheitspolitischen Architektur im Nahen Osten „auf Basis von Kooperation statt Konfrontation“. In diesem Beitrag wird untersucht, ob sich derartige Hoffnungen als berechtigt herausgestellt haben.
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Sirius Cover Heft 1 2017Der vollständige Beitrag ist erschienen in SIRIUS – Zeitschrift für Strategische Analysen, Heft 2, Juni 2017: https://www.degruyter.com/view/j/sirius.2017.1.issue-2/sirius-2017-0030/sirius-2017-0030.xml?format=INT

 

 

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Irans Atomprogramm: Washington und Brüssel auf Kollisionskurs. Warum die EU die Atomvereinbarung retten muss
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„Die Europäische Union und die USA verfolgen zunehmend unterschiedliche Ziele und Strategien im Umgang mit Iran. Auf seiner ersten Auslandsreise im Mai 2017 rief US-Präsident Trump in Saudi-Arabien dazu auf, die Islamische Republik zu isolieren. Mit seiner Rede in Riad wurde deutlich, dass die US-Administration die Atomvereinbarung mit Iran als politisches Druckmittel sieht, um dessen regionale Aktivitäten einzudämmen. Die EU hingegen begreift den Gemeinsamen umfassenden Aktionsplan (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) als nichtverbreitungspolitischen Fortschritt und als langfristige Chance für bessere regionale Kooperation mit Iran. Diese divergierenden Perspektiven gefährden die bisher erfolgreiche Umsetzung der Vereinbarung. Daher sollte die EU Voraussetzungen dafür schaffen, sie auch dann am Leben zu halten, wenn Washington sie nicht mehr unterstützt.“ (Abstract)

 

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Der britische Publizist David Patrikarakos erläutert nicht nur die aktuelle Strategie der iranischen Atompolitik, sondern informiert auch über das politische Klima, das im Laufe der Entwicklung des Atomprogramms im Land vorherrschte. Nach seiner Machtübernahme war das islamistische Regime demnach überhaupt gegen jegliche Form der Nutzung von Atomenergie. Auch eine friedliche Energiegewinnung wurde zunächst als kolonialistische Politik dargestellt und abgelehnt: „Das Atomprogramm galt nun o...weiterlesen


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Christina Ruta geht davon aus, dass ein rationaler Streit zwischen dem Iran und den USA nicht gelingen kann, solange sich beide Seiten auf ihre ideologischen Positionen stützen. Den Hauptteil ihrer Arbeit widmet sie dabei der Zeit, in der George W. Bush US‑Präsident war. Die US‑Regierung sei der Meinung gewesen, dass sie es mit Extremisten zu tun habe, die unter dem „Term Anhänger radikal‑islamischer bzw. (libanesischen) Hizbullah und der (palästinensischen) Hamas“ ...weiterlesen

 

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