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Siegfried Lokatis

Der rote Faden. Kommunistische Parteigeschichte und Zensur unter Walter Ulbricht

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2003 (Zeithistorische Studien 25); 391 S.; geb., 39,90 €; ISBN 3-412-04603-5
Zweihundert Historiker arbeiteten zehn Jahre lang einem unter der Federführung Ulbrichts stehenden Autorenkollektiv zu, das die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ schrieb. Dieses achtbändige Werk von 1966 firmierte absichtlich unter falschem Titel – es ging nicht um die deutsche Arbeiterbewegung, sondern um eine historische Begründung der Rolle der SED in der DDR. Und das war gar nicht so einfach. Lokatis, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam, schildert mit einer fein dosierten ironischen Distanz, wie um jede Formulierung gefeilscht wurde, bis sie die aus Sicht Ulbrichts richtige politische Intention vermittelte. Man wusste natürlich, dass während der Weimarer Republik eben nicht alles auf eine sozialistische Einheitspartei hinausgelaufen war, Thälmann gegen die SPD polemisiert hatte und der Widerstand gegen das NS‑Regime nicht von der KPD‑Spitze geführt wurde. Aber es sollte so aussehen. Deshalb wurden Dokumente gefälscht oder weggelassen und ebenfalls aus ideologischen Gründen spielte Stalin keine Rolle mehr in der Parteigeschichte. Trotzdem sollte das Werk wissenschaftlichen Maßstäben genügen. Und das alles fand unter den kritischen Augen westdeutscher DDR‑Forscher statt – man fälschte daher nur das, was wahrscheinlich nicht bekannt war. Die Autoren hatten sich also „wie bloße Sachverwalter der höheren Wahrheit zu unterwerfen“ (348). Das galt sogar für Ulbricht, der sich selbst fälschte – einige seiner Entscheidungen sah er mittlerweile als überzogen an und wollte sie wenigstens für die Geschichtsschreibung beschönigen. Über die Entstehungsgeschichte dieser „Heiligen Schrift“ (346) hinaus analysiert Lokatis sehr gelungen das Funktionieren der Zensur, der gelegentlich auch sowjetische Bücher zum Opfer fielen, sowie die verdeckte Finanzierung der SED über Lizenzgebühren der Volksbuch‑Verlage. Obwohl die achtbändige Parteigeschichte in der Honecker‑Ära nicht mehr öffentlich erwähnt wurde, habe Ulbricht mit ihr einen prägenden Anteil an der Ausformung eines „in sich kohärenten, spezifisch ostdeutschen Geschichtsbewußtseins“ (328) gehabt.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Siegfried Lokatis: Der rote Faden. Köln/Weimar/Wien: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/19786-der-rote-faden_23028, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 23028 Rezension drucken