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Tilman Jens

Der Sündenfall des Rechtsstaats. Eine Streitschrift zum neuen Religionskampf. Aus gegebenem Anlass

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus 2013; 127 S.; geb., 14,99 €; ISBN 978-3-579-06632-5
Die Erweiterung des Bürgerlichen Gesetzbuches um eine Erlaubnis zur religiös begründeten Beschneidung von männlichen Kindern stellt nach Ansicht des Journalisten Tilman Jens eine unnötige und übereilte Kapitulation des Rechtsstaates dar. Belegt sieht er damit eine „Kumpanei“ (12) zwischen Staat und Kirche um des lieben gesellschaftlichen Friedens willen. Dabei stört er sich nicht nur daran, dass das Recht auf körperliche Unversehrtheit des Kindes verfassungswidrig eingeschränkt wird. Auch die Tatsache, dass diese Gesetzesänderung gegenüber vielen anderen, ebenfalls oder besser begründeten Vorhaben bevorzugt wurde, sieht er als willkürlichen Akt. Dass damit aber die Achtung religiöser Rechte belegt werden könnte, ist seiner Argumentation nach keineswegs gesichert – erscheint eine türkische Volksschullehrerin mit Kopftuch im Schulunterricht, sehen „Kulturbürokratie und auch der Bayerische Verfassungsgerichtshof schnell die Empfindlichkeiten von Eltern und Schülern verletzt. Merke: Das so innig besungene Recht auf Religionsfreiheit ist teilbar und gilt nicht für alle gleich“ (45). Jens erweitert seine Argumentation über das bekannte Für und Wider hinaus noch einmal auf die Frage, ob eine Ablehnung der Beschneidung antisemitisch sei – und verneint dies unter Hinweisen auf jüdische Reformer. Den nicht wenigen Befürwortern der Bescheidung stellt er außerdem vor allem Ausschnitte von zuvor publizierten Debattenbeiträgen von Michael Wolfssohn gegenüber. Dieser hatte betont, dass Symbole und Rituale „Krücken auf dem Weg zu Gott“ sind – „Wie viel Krücken braucht der Mensch, um zu Gott zu gelangen?“ (115) Die Beschneidung nach dem Wortlaut des Deuteronomiums ist, so Wolfssohn, zudem eindeutig als symbolisches Gebot zu verstehen. Wiederholt ist in dem Buch die Befremdung darüber herauszulesen, dass die Zugehörigkeit zum Judentum an einem Hautstück hängen soll – wo doch jedes Kind einer jüdischen Mutter, also auch die Mädchen, jüdisch sind. Insgesamt zeigt Jens die Dimensionen einer geradezu hysterisch verlaufenden Debatte noch einmal auf und deutet damit auch die verpassten Chancen für reformorientierte Gläubige an. Allerdings formuliert er oft so zugespitzt, dass sein Betrag die Gegenseite nicht unbedingt erreichen dürfte.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Tilman Jens: Der Sündenfall des Rechtsstaats. Gütersloh: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36430-der-suendenfall-des-rechtsstaats_44396, veröffentlicht am 21.11.2013. Buch-Nr.: 44396 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken