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Jochen Ostheimer / Markus Vogt (Hrsg.)

Die Moral der Energiewende. Risikowahrnehmung im Wandel am Beispiel der Atomenergie

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2014 (Ethik im Diskurs 10); 266 S.; kart., 34,90 €; ISBN 978-3-17-022933-4
Mit der Explosion dreier Reaktorblöcke des Atomkraftwerks in Fukushima Daiichi infolge des Tohoku‑Erdbebens vom 11. März 2011 kam es bei der damaligen schwarz‑gelben Bundesregierung zu einer „spektakulären Kehrtwende“ (244) in der deutschen Atompolitik, die als Ausstieg aus dem Ausstieg bezeichnet wurde. Die Beiträge dieses Sammelbandes verzahnen aus sozialwissenschaftlicher, ethischer, ökonomischer und nicht zuletzt auch physikalischer Perspektive die diversen Rationalitäten dieses dezidiert politischen wie moralischen Problems: „Bei der Problembewältigung, bei der Sicherstellung einer zuverlässigen, bezahlbaren sowie natur‑ und gesundheitsverträglichen Energieversorgung der durch einen wachsenden Energiehunger geprägten Weltgesellschaft [...] spielen moralische Argumente eine zentrale, häufig jedoch ambivalente Rolle.“ (15) Ein moralisches Problem sei die Verwendung von Atomenergie, so Jochen Ostheimer in seinem Aufsatz, weil sie – selbst im Normalbetrieb – gesundheitliche Gefährdungen für eine große Zahl gegenwärtiger und künftiger Generationen von Menschen nicht ausschließen könne und weil Folgeprobleme aus dem derzeitigen Betrieb, wie etwa die Frage der Endlagerung, nicht geklärt seien. Julian Nida‑Rümelin fragt, ob den Betreibern des AKW Fukushima Daiichi eine nicht hinreichende Absicherung der Anlage gegen möglicherweise auftretende Naturkatstrophen (Erdbeben, Tsunamis) vorgeworfen werden könne. Mit dem Hinweis darauf, dass ein eingetretenes Ereignis in seiner moralischen Bewertung nicht mit Blick auf das tatsächliche, mitunter auch zufällige Eintreten, sondern nur auf der Basis der dem Eintreten vorausgegangenen Risikoabwägung durch die Entscheider beurteilt werden dürfe, verneint er eine moralische Verantwortung. Wie aber ist mit dem nun – zumindest für Deutschland – erkennbaren Ausstieg politisch umzugehen? Frank Uekötter ist sich sicher: Politik und Wirtschaft, die ihre Entscheidungen „in einem Vakuum [...], [in einem] undurchsichtigen Geflecht von Interessen und Auftraggebern“ (258) zu treffen versuchten, führten mit diesen letztlich in eine Sackgasse. Damit wird die Katastrophe von Fukushima Daiichi auch zu einer politischen Lehre, zu einer Lehre von mehr Transparenz und Teilhabe.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.3435.442.341 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Jochen Ostheimer / Markus Vogt (Hrsg.): Die Moral der Energiewende. Stuttgart: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37449-die-moral-der-energiewende_43604, veröffentlicht am 28.08.2014. Buch-Nr.: 43604 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken