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Stefan Buchen

Die neuen Staatsfeinde. Wie die Helfer syrischer Kriegsflüchtlinge in Deutschland kriminalisiert werden

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2014; 199 S.; brosch., 14,80 €; ISBN 978-3-8012-0451-8
Stefan Buchen, Journalist beim ARD‑Magazin Panorama, widmet sich einem Thema von unbestrittener Aktualität: Wie ist mit Menschen umzugehen, die syrischen Flüchtlingen dabei helfen, Zuflucht in Deutschland zu finden? Mit den Mitteln einer Reportage – Buchen will keine wissenschaftliche Studie abliefern – nähert er sich der Frage, inwieweit Menschen, die vor Gericht stehen, weil sie anderen bei der Flucht geholfen haben, „in der Bundesrepublik nicht tatsächlich gesetzliches Unrecht“ (9) geschieht? Der Fall des deutsch‑syrischen Bauingenieurs Hanna L., der sich in Essen einer Anklage unter anderem wegen organisierter Kriminalität gegenübersieht, die das Ergebnis umfangreicher Bemühungen deutscher Strafverfolgungsbehörden im In‑ und Ausland darstellt, lege den Verdacht nahe, dass „Polizei und Justiz sich hier in einen unheilvollen Positivismus verstrickt haben. Blind für die Hintergründe wollen sie einfach Rechtsnormen durchsetzen“ (12), ohne dabei höhere Rechtsgüter wie das Recht auf Leben und humanitären Schutz zu bedenken. Buchen nimmt die Leser_innen mit auf seine Recherchen. In einzelnen, mal kürzeren, mal längeren Episoden geht es zur Bundespolizei, zu Treffen mit Angeklagten und in den Gerichtssaal. Hilfestellung leisten ihm dabei zugespielte Ermittlungsakten, deren Umfang ihm eine zum Teil minutiöse Rekonstruktion der Ermittlungen im Rahmen der Operation „Cash“ ermöglicht. Polizeiliche und juristische Argumente wie das des Flüchtlingsschutzes will er nicht gelten lassen, da sie bloß „moralische Tricks“ (131) seien. Buchen erinnert an die Fälle von Fluchthelfern, die DDR‑Bürgern den Weg in die Bundesrepublik ermöglicht haben und ihre Bezahlung sogar erfolgreich vor dem Bundesgerichtshof eingeklagt haben – für ihn eine vergleichbare Situation, nur seien – für Politik und Justiz – Schleuser heute „die neuen Staatsfeinde“ und „Motoren der Überfremdung, [die] [...] aufgespürt und eingesperrt werden“ (150) müssen. Die Maßstäbe der rechtlichen Bewertung von Schleusertätigkeiten – oder, je nach Perspektive, Fluchthilfe – hätten sich in der Geschichte der Bundesrepublik fortwährend verschoben. Justiz und Polizeibehörden aber täten so, „als hätten politische Stimmungen keinen Einfluss auf ihr Handeln“ (155). Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass Buchen mit seinem Buch mehr als nur einen Tatsachenbericht oder eine politische Reportage liefert; der Autor legt ein moralisches Plädoyer für einen anderen, seiner Ansicht nach gerechteren Umgang mit den Unterstützern von Flüchtlingen vor und klagt dabei die Flüchtlingspolitik Deutschlands an.
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Rubrizierung: 2.35 Empfohlene Zitierweise: Christian Patz, Rezension zu: Stefan Buchen: Die neuen Staatsfeinde. Bonn: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37885-die-neuen-staatsfeinde_46003, veröffentlicht am 11.12.2014. Buch-Nr.: 46003 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken