Skip to main content
Lukas Zürcher

Die Schweiz in Ruanda. Mission, Entwicklungshilfe und nationale Selbstbestätigung (1900-1975)

Zürich: Chronos Verlag 2014; 378 S.; 47,50 €; ISBN 978-3-0340-1205-8
Diss. Zürich; Begutachtung: G. Krüger, G. Kreis. – Die Entwicklung der Beziehungen der Schweiz im 20. Jahrhundert zu dem afrikanischen Land Ruanda beschreibt der Historiker Lukas Zürcher als einen Prozess zunehmender politischer und kultureller Verknüpfung. Seine Untersuchung stützt er auf die Auswertung von öffentlichem und privatem Quellenmaterial, dazu zählen Akten des Schweizerischen Bundesarchivs oder Briefe, Tagebücher und 34 Interviews mit damals tätigen Missionaren und Entwicklungsexperten aus beiden Ländern. Mit dem Eintreffen der ersten Schweizer Missionare in Ruanda 1906, die sich dort am Aufbau der katholischen Kirche beteiligten, nahm die Vernetzung demnach konkrete Gestalt an. In dieser ersten Phase der Beziehungen entwickelte sich die „Missionsgesellschaft der Weissen Väter“ (43) zu einer wichtigen politischen Kraft, die mit den ruandischen Machthabern und der Kolonialadministration kooperierte. Die zweite Phase intensiver Verflechtung begann nach der Unabhängigkeit 1962, die im Zeichen von Dekolonisation und Entwicklungshilfe stand. Die staatliche Souveränität ermöglichte es der Schweizer Regierung, dem Land Beratung und Hilfe zu bieten; Ruanda wurde, so Zürcher, gar zum Schwerpunktland der schweizerischen Entwicklungshilfe in Afrika. Es dominierte der Gedanke, Ruanda nach westlichem Vorbild zu entwickeln. Diese Interpretation des Landes als „Schweiz Afrikas“ (94), dem es lediglich noch am Wohlstand mangele, bekam nach den ethnisch motivierten Morden in den 1960er‑Jahren Risse. Der Autor zeichnet insgesamt ein ambivalentes Bild des schweizerischen Einsatzes in Ruanda, denn einerseits gelang es, vielen Menschen zu helfen, sodass die Schweiz zu einem wichtigen Akteur „bei der Herausbildung der nachkolonialen, politischen und ökonomischen Struktur Ruandas“ wurde. Andererseits nahm sie eine Haltung des Wegschauens und der Verharmlosung ein, „die von kolonialistischen Denkstrukturen, persönlichen Karrierelogiken oder situationsspezifischen Befindlichkeiten geprägt war und so […] zur Legitimation der Gewalt gegen die Tutsi beitrug“ (319). Die Tatsache, dass Schweizer Entscheidungsträger in Ruanda und Bern keine eindeutige Haltung gegen diese Menschenrechtsverletzungen bezogen, führt Zürcher zu der folgenden Gesamteinschätzung: Die Schweizer haben die Ruander „kaum je komplett als gleichgestellte, gleichwertige, mündige und rational handelnde Menschen ernstgenommen, die in der gleichen Zeitepoche leben und durchaus imstande sind, die vielfältigen Mechanismen der Entwicklungshilfe zu durchschauen und sie für sich und ihre Ziele gewinnbringend umzudeuten“ (320).
{STE}
Rubrizierung: 4.444.222.52.672.25 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Lukas Zürcher: Die Schweiz in Ruanda. Zürich: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37961-die-schweiz-in-ruanda_45309, veröffentlicht am 15.01.2015. Buch-Nr.: 45309 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken