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Joëlle Kuntz

Die Schweiz – oder die Kunst der Abhängigkeit. Zwischenruf. Übersetzt von Benedikt von Tscharner

Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung 2014; 120 S.; 29,- €; ISBN 978-3-03823-908-6
Wenn ein Diplomat das Buch einer Journalistin übersetzt, ist das eine Botschaft. Wenn dieser Botschafter der ehemalige Chef des eidgenössischen Integrationsbüros ist, der zudem später als Leiter der Schweizerischen Mission bei der EU in Brüssel die Interessen der Eidgenossenschaft auf europäischem Parkett vertreten hat, ist das ein offenkundiges politisches Signal: Mit dem Buch vermittelt Benedikt von Tscharner den deutschsprachigen Lesern die Sicht einer führenden französischsprachigen Journalistin der Schweiz und überbrückt so den eidgenössischen Sprachgraben zwischen Deutschschweiz und Westschweiz – gerne auch Röstigraben genannt, an dem manche der Eidgenossen Rücken an Rücken stehen. Kernanliegen der Autorin Joëlle Kuntz ist es, ihren Lesern die Relativität der nationalen Unabhängigkeit vor Augen zu führen, die neben der ebenfalls umstrittenen Neutralität in der Schweiz gleichwohl oftmals und gerne wie eine Monstranz hochgehalten wird. Allerdings ist die frühere Bedeutung der Unabhängigkeit in einer fortlaufend stärker globalisierten Welt immer eingeschränkter und erscheint eher als Belastung denn als Kraftquell. In ihrem Essay ordnet Kuntz die schweizerische Unabhängigkeit in den historischen und geografischen Kontext ein. Deutlich wird dabei, wie der mitteleuropäische Kleinstaat seine Abhängigkeiten und Verflechtungen mit den Nachbarn seit der frühen Neuzeit produktiv nutzte – zum Vorteil aller Beteiligten. Die Autorin geht dabei auf eine Vielzahl von Aspekten ein, vom Fluch und Segen der politischen Flüchtlinge, von den Freuden und Leiden des Bankgeheimnisses bis zum Selbstverständnis der Schweiz als Friedensinsel im stürmischen 20. Jahrhundert. Gelegentlich mäandert der Essay allzu feuilletonistisch durch Zeit und Raum, doch gibt Kuntz ihren Mitbürgern, aber auch den ausländischen Lesern, eine Vielzahl anregender Überlegungen zu den Perspektiven der Schweiz mit auf den Weg. Wer es gerne etwas handfester mag, sei auf das fast zeitgleich im selben Verlag erschienene, ebenso lesenswerte Buch „Wo liegt die Schweiz“ von Jakob Kellenberger verwiesen (siehe Buch‑Nr. 46271).
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Rubrizierung: 2.5 Empfohlene Zitierweise: Burkard Steppacher, Rezension zu: Joëlle Kuntz: Die Schweiz – oder die Kunst der Abhängigkeit. Zürich: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38267-die-schweiz--oder-die-kunst-der-abhaengigkeit_46206, veröffentlicht am 09.04.2015. Buch-Nr.: 46206 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken