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Norbert Bolz

Die Sinngesellschaft

Berlin: Kulturverlag Kadmos 2012 (Ableger 7); 238 S.; 10,- €; ISBN 978-3-86599-114-0
1997 ist „Die Sinngesellschaft“ erstmals erschienen – fünfzehn Jahre später publiziert Norbert Bolz das Buch nahezu unverändert erneut in der klaren Überzeugung, dass der damals vorgetragene zeitdiagnostische Ansatz immer noch zutreffend ist. Und in der Tat hat die Art, in der Bolz eine auf Gewissheiten zielende Sinnfrage destruiert, etwas Suggestives. Fast schon spielerisch – darin die Analysen Niklas Luhmanns nutzend, dessen Texte er für das Beste hält, „was deutsche Wissenschaft heute für das Verständnis unserer Gesellschaft zu bieten hat“ (34) – führt er die Ambivalenzen vor, die mit der funktionalen Differenzierung moderner Gesellschaft unvermeidlich verbunden sind. Auf die Dominanz der Aufklärung reagiert eine Wiederkehr des Religiösen; gegen den Funktionalismus der Leitsysteme Wirtschaft und Politik opponiert ein Kult der Innerlichkeit und im Kontrast zur massendemokratischen Egalität wird demonstrativer Individualismus als Eigenwert verteidigt. Aus diesen und anderen Polyvalenzen leitet Bolz seine das Buch durchziehende Grundthese ab, „dass die Suche nach dem verlorenen Sinn eigentlich eine Flucht aus der Komplexität ist [...]. Nach dem Sinn zu fragen heißt, die postmoderne Gesellschaft nicht zu wollen“ (23). Dabei versteht er Postmoderne nicht zeitlich, sondern semantisch: nämlich als Befreiung von der weit verbreiteten Nutzung essentialisierender Kollektivsingulare (wie Geschichte, Wirklichkeit, Mensch). In den einzelnen Kapiteln – die vom Duktus her „zwischen den Extremen von Philosophie und Trendletter“ (30) angesiedelt sind – möchte Bolz unter sehr allgemeinen, Redundanzen bewusst in Kauf nehmenden Stichworten zu einem gelassenen Umgang mit komplexitätsbedingter Vieldeutigkeit motivieren. In diesem Sinne sei die Aufforderung zum postmodernen Aushalten von Kontingenzen auch als „Lob der Normalität“ (30) zu lesen, die – jenseits von Prinzipien und Letztbegründungen – wesentlich auf dem Provisorischen als Dauerzustand beruht. Und diese Normalität verteidigt Bolz in lockerem Gestus gegen die Sinnversprechen und gesellschaftskritischen Zumutungen der „Meisterdenker“ (wie Marx, Freud, Bloch, Adorno, Benjamin).
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Norbert Bolz: Die Sinngesellschaft Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32762-die-sinngesellschaft_39130, veröffentlicht am 02.05.2013. Buch-Nr.: 39130 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken