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Kristina Meyer

Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945-1990

Göttingen: Wallstein Verlag 2015 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts 18); 549 S.; geb., 42,- €; ISBN 978-3-8353-1399-6
Bis heute beschwören Sozialdemokraten mit Stolz die Rede von Otto Wels im März 1933 vor dem Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz. In den Monaten und Jahren danach gehörten viele Sozialdemokraten zu den Opfern des Hitler‑Regimes, wurden drangsaliert, inhaftiert oder flohen ins Exil. „In keiner anderen westdeutschen Partei [...] wurden nach 1945 so viele Gegner und Verfolgte des Nationalsozialismus politisch aktiv wie in der SPD“ (8), schreibt die Historikerin Kristina Meyer in ihrer umfangreichen Studie, für die sie im Februar den Willy‑Brandt‑Preis für Zeitgeschichte erhielt. Damit war die SPD keineswegs repräsentativ für die deutsche Nachkriegsgesellschaft – für eine nötige Verbreiterung ihrer Wähler‑ und Mitgliederbasis galt es daher für die Partei, „die Ambivalenzen individueller Lebensläufe im Gesellschaftsmodell einer ‚sozialen Demokratie’ zu überwinden“. Daraus ergab sich eine „permanente Gratwanderung“ (10): ein Spannungsfeld zwischen Aussöhnung und Aufarbeitung, zwischen moralischem Anspruch und dem Bedürfnis der Mehrheit nach dem sogenannten Schlussstrich. Hierbei trafen nicht nur unterschiedliche individuelle Erfahrungen – meist bestimmt durch das Alter – aufeinander; auch Ebene und Flügel der Parteiarbeit und nicht zuletzt der jeweilige Adressat bestimmten die sozialdemokratische Sicht auf die Vergangenheit. Die Autorin versteht es, diese unterschiedlichen Perspektiven herauszuarbeiten und zu kontextualisieren. Durch die Gliederung in mehrere Phasen zeigt sie, wie wichtig die Position der SPD in Opposition oder Regierung dafür war, was die Forderungen und Prioritäten der SPD bestimmten, etwa beim Umgang mit ehemaligen NSDAP‑Mitgliedern, verurteilten NS‑Verbrechern oder mit ehemals durch das Regime Verfolgten. Zudem zeigt Meyer, wie der Wandel in der Gesellschaft in den mehr als vier Jahrzehnten bis 1990 im Umgang mit vergangenheitspolitischen Themen „von Sozialdemokraten nicht nur vorangetrieben wurde, sondern zugleich neue Konflikte in die Partei trug“ (13), vor allem durch neue politisch aktive Alterskohorten ab den 1960er‑Jahren. Dass Meyer ihre Untersuchung abseits von bedeutenden Einzelpersonen wie Kurt Schumacher oder Willy Brandt sowie zeitlich und themenübergreifend anlegt, macht das Buch, das auf reichhaltigen Quellen des Archivs der sozialen Demokratie sowie privaten Nachlässen beruht, immens wertvoll für die historische Parteienforschung.
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Rubrizierung: 2.3312.3132.35 Empfohlene Zitierweise: Frank Kaltofen, Rezension zu: Kristina Meyer: Die SPD und die NS-Vergangenheit 1945-1990 Göttingen: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39656-die-spd-und-die-ns-vergangenheit-1945-1990_48085, veröffentlicht am 04.05.2016. Buch-Nr.: 48085 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken