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Patrick Rosenow: Die Ständigen Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen. Eine vergleichende Analyse der Rolle von Henry C. Lodge Jr., Charles W. Yost, Jeane J. Kirkpatrick und Madeleine K. Albright

15.04.2020
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Autorenprofil
Frank Kaltofen, M.A.
Baden-Baden, Nomos 2019

In Zeiten eines US-Präsidenten Donald Trump könnte man beinahe vergessen, wie wichtig die Beziehungen der Vereinigten Staaten zu den Vereinten Nationen für die internationale Politik sind und wie führend die USA bei der Schaffung dieser Weltorganisation waren. So ist es auf fast tragische Weise passend, wie Patrick Rosenow in seiner Einleitung erklärt, dass „im Spektrum von Konfrontation bis Kooperation zwischen Weltmacht und Weltorganisation, zwischen nationalen und internationalen Interessen alles möglich“ (20) sei.

Rosenow bezieht sich dabei auf die Amtsführung der US-amerikanischen UN-Botschafter*innen in New York, die er für seine hiermit veröffentlichte Dissertationsschrift auf rund 450 Seiten detailliert untersucht hat. Der Band ist Teil der Reihe „The United Nations and Global Change“ (Band 15) und beleuchtet die US-amerikanischen UN-Botschafter im individuellen, konzeptionellen, nationalen sowie internationalen Kontext.

Neben einer umfangreichen Übersicht zur Geschichte von Amt und Amtsträgern bietet Rosenow eine reichhaltige Datensammlung zu allen bisherigen US-Botschaftern bei den UN seit 1945. Seine explorative Analyse zu dem Themenfeld wird im Verlauf anhand von vier Fallstudien vertieft. Rosenow legt somit die erste umfassende deutschsprachige Untersuchung zu dem Thema vor, die sich zudem dadurch hervortut, dass er einen vielfältigen theoretischen Zugang nutzt. Ausführlich beschreibt der Politikwissenschaftler die methodische Entwicklung seiner insgesamt drei Analyseraster, in denen eine Vielzahl von akteurs- und strukturbezogenen Faktoren berücksichtigt werden.

Der Autor führt unter anderem aus, dass einer der außenpolitischen Berater*innen, auf die ein amerikanischer Präsident vertraut, der US-amerikanische UN-Botschafter sein kann – dennoch würden diese deutlich seltener von der Wissenschaft analysiert als andere Schlüsselakteure, wie etwa der Außenminister oder die Nationalen Sicherheitsberater. Die herausgehobene Stellung des Amtes zeige sich aber auch darin, dass der Ständige Vertreter der USA bei den Vereinten Nationen als einziger Botschafter seit 1950 Teil des Nationalen Sicherheitsrates (NSC) des Präsidenten ist und das Amt seither (wenn auch mit Unterbrechungen) Kabinettsrang hatte. Häufig, so macht der Autor deutlich, wurde der Posten nicht mit regulären „Berufsdiplomaten“ aus der Bürokratie, sondern mit Professoren, Senatoren oder Gouverneuren der Einzelstaaten besetzt.

Rosenow betrachtet das Amt des amerikanischen UN-Botschafters „zugleich als ‚Akkumulationspunkt‘ und ‚Transmissionsriemen‘ amerikanischer und UN-Interessen“ (29). Er nutzt für seine Untersuchung der Amtsträger unter anderem die Politische Psychologie und Psychobiografie, daneben den Sozialkonstruktivismus als jüngste der drei Großtheorien der Internationalen Beziehungen. Für den empirischen Teil stehen dabei insbesondere die Normen und Vorstellungen der Amtsträger zu Souveränität und Multilateralismus im Fokus: Rosenow verweist – Bezug nehmend auf den „Norm Life Cycle“ nach Finnemore und Sikkink – darauf, dass UN-Akteure nicht zuletzt als sogenannte Normenunternehmer tätig werden können, zumal wenn sie so einflussreiche Staaten wie die USA repräsentieren.

Der Politikwissenschaftler widmet sich bei seiner Betrachtung der US-Vertreter bei den Vereinten Nationen auch ausführlich den nationalen, institutionellen Bestimmungsfaktoren ihrer Amtsführung. Sehr detailliert geht er dabei auf die zahlreichen Abteilungen und Unterabteilungen der US-Außenpolitikbürokratie ein. Er legt dar, dass die UN-Botschafter vor Ort in New York eigene Ressourcen zur Verfügung haben und als eine Art Informationsfilter für Washington fungieren. Dadurch könne ihr politischer Einfluss in der Praxis enorm sein, haben sie doch die direkten Kontakte zu hochrangigen Diplomaten anderer Staaten. Die Einflussmöglichkeiten hingen freilich stark von den Beziehungen zum jeweiligen US-Präsidenten ab, so Rosenow; der UN-Botschafter könne sich aber „innerhalb der außenpolitischen Bürokratie durchaus seinen eigenen Einflussbereich aufbauen“ (191). Somit sei der oder die Amtsträger*in als „Schnittstelle zwischen nationalem und internationalem UN-Kontext im quasi parlamentarischen Umfeld der Vereinten Nationen“ zu betrachten und fungiere „sowohl als Repräsentant der UN in den USA wie auch als Vertreter der USA in den UN“ (198). In diesem Kontext arbeitet Rosenow unterschiedliche Rollenverständnisse und -typen der amerikanischen UN-Botschafter heraus.

Der Band enthält außerdem eine umfangreiche quantitative Datensammlung zu den bisherigen Amtsträgern, der Länge ihrer jeweiligen Amtszeit sowie ihren vorherigen Ämtern. Es kristallisiert sich eine Art „typischer“ UN-Botschafter der USA heraus, wobei Rosenow seinen Fokus auf die jeweils reguläre Erst-Ernennung der Administrationen legt. Dadurch wird die Fallzahl geringer, sodass die Aussagekraft einiger Feststellungen mitunter überschaubar bleibt.

Für die Detail-Betrachtung wählt Rosenow vier Fallbeispiele von Amtsträger*innen aus, die er hinsichtlich ihrer biografischen Prägung, ihres konzeptionellen Denkens sowie ihrer Stellung im jeweiligen politischen Gefüge der USA und der UNO beleuchtet. Die Amtszeiten dieser vier Persönlichkeiten liegen im Zeitraum zwischen den Eisenhower-Jahren, den 1950er- und 1990er-Jahren der Clinton-Administration. Da somit nur eine einzige Amtszeit nach dem Kalten Krieg betrachtet wird, lässt sich die Frage stellen, inwiefern die Fallauswahl der Signifikanz dieses Scheidepunktes der UN-Geschichte gerecht wird.

Im Ergebnis seiner detaillierten Falluntersuchungen hält Rosenow fest, dass das vorherige Wirken der Persönlichkeiten – etwa als innenpolitischer Stratege, als Karrierediplomat oder als akademische Instanz – eine bedeutsame Rolle bei der Auswahl für das Botschafteramt (und dessen nachfolgende Ausgestaltung) spiele. Zudem zeige sich, dass das jeweilige konzeptionelle Denken des oder der Amtsträgerin über die Rolle der USA und der UN in der Weltpolitik (vereinfacht vielleicht als Weltanschauung zu bezeichnen) auch einen Wandel im Laufe der Zeit erleben kann. Generalisierungen zur Amtsführung der UN-Botschafter sind insgesamt nur sehr eingeschränkt möglich, dessen zeigt sich auch Rosenow bewusst. Große Bedeutung für die Amtsführung habe aber auf jeden Fall das Vertrauen des jeweiligen Präsidenten sowie dessen Führungsstil. Unter dem derzeitigen US-Präsidenten Donald Trump, so der abschließende Ausblick Rosenows, drohten „[k]urzfristige ‚Deals‘ statt langfristigem, wertebasiertem Multilateralismus“ (404) die US-amerikanische UN-Politik zu prägen.

Bei der Lektüre wird immer wieder deutlich, wie überschaubar die wissenschaftliche Literatur zur Arbeit der US-amerikanischen UN-Botschafter bisher leider ist – viele der Standardwerke sind vor mehreren Jahrzehnten erschienen. Umso wertvoller wird Rosenows Arbeit in Zukunft für Studierende und Fachkollegen sein: Der geschichtliche Überblick, den er über das Amt gibt, eignet sich ideal als Seminarliteratur. Zudem bietet die von ihm besorgte umfassende Datengrundlage einen sehr guten Ausgangspunkt für eine nähere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Amt, wenn auch das Analyseraster des Autors mitunter etwas arg kleinteilig ausfällt. Dennoch: Rosenows Studie kann vielen interessierten Fachkollegen als eine Art konzeptionelles Handbuch für weitere, ähnlich gelagerte Fallanalysen dienen.

 

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