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Friedrich Thießen (Hrsg.)

Die Wessis. Westdeutsche Führungskräfte beim Aufbau Ost

Köln/Weimar/Wien: Böhlau Verlag 2009; 359 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-412-20345-0
„Ich habe die Westdeutschen gemocht. Sie waren tolerant und aufgeschlossen. Sie konnten auch herzlich über sich selber lachen.“ (223) Diese Einschätzung des Chemnitzer Kabarettisten Eckard Lange, der nach der Wende westdeutsche Aufbauhelfer – vor allem Beamte – als Publikum hinzugewann, spiegelt eine deutsch-deutsche Harmonie wider, die allerdings nur eine gelegentliche Facette des Aufbaus Ost war. In 33 Beiträgen schildern Ost- und Westdeutsche ihre oftmals schwierigen Erfahrungen miteinander auf der Basis von narrativen Interviews. Gefragt wurde nach der eigenen Aufgabe, den Erwartungen und Schwierigkeiten, Erfolgen und beruflichen Tiefschlägen. Thießen, Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der TU Chemnitz, betont einleitend, dass es ausdrücklich um die subjektive Sicht des Einzelnen geht. Und so erhält der Leser einen lebendigen Eindruck vom wilden Osten, in dem keineswegs nur westliche Glücksritter unterwegs waren – im Gegenteil, wie die Erfahrungen eines westdeutschen Unternehmers zeigen. Ihm verkaufte die Treuhand in Sachsen einen Betrieb, auf dessen Gelände Ansprüche von Alteigentümern lasteten und dessen Belegschaft sich als un- oder nur angelernt entpuppte. Nachdem die Treuhand dann nicht zu finanziellen Zusagen stand und das Unternehmen in Schwierigkeiten geriet, wurde der Unternehmer unter dem Vorwurf der Steuerhinterziehung und Veruntreuung verhaftet. Dies geschah nach seinem Bericht unter der Ägide des damaligen Justizministers Steffen Heitmann, einem Freund des dortigen Treuhanddirektors. Erst vor dem Bundesgerichtshof wurde der Unternehmer völlig rehabilitiert. Die anderen Erfahrungsberichte, u. a. aus Politik, Bundeswehr, Städtebau, Recht- und Steuerberatung, Gastronomie, Presse, Kultur und Sport fallen weniger extrem aus, zeigen aber doch die vielfältigen Schwierigkeiten auf. Viele westdeutsche Konzerne seien nicht an den Ostdeutschen gescheitert, schreibt Johannes Schulze, Geschäftsführer des Verlages, zu dem die „Freie Presse“ gehört, sondern an den Westdeutschen, die ihre Strukturen einfach 1:1 hätten übertragen wollen.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.315 | 2.324 | 2.325 | 2.331 | 2.342 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Friedrich Thießen (Hrsg.): Die Wessis. Köln/Weimar/Wien: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/30433-die-wessis_36131, veröffentlicht am 03.06.2009. Buch-Nr.: 36131 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken