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Aurica Bloom

Die Zivilgesellschaft Polens. Zwischen Aufbruch und Stagnation

Berlin: Lit 2013 (Region – Nation – Europa 63); 173 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-643-10656-8
Magisterarbeit Potsdam; Betreuung: H. Kleger, I. P. Karolewski. – Zivilgesellschaften werden gemeinhin als elementarer Bestandteil westlicher Demokratien gesehen und damit auch als unauflösbar an diese geknüpft. Aurica Bloom aber gelingt es, das für diese Annahme aussagekräftige Drei‑Phasen‑Modell von Lauth und Merkel mit Blick auf den ganz eigenen Entwicklungspfad Polens zu modifizieren. Denn anders, als es das Modell vorsieht, hat in Polen die Herausbildung der Zivilgesellschaft nicht erst mit dem Machtverlust des kommunistischen Regimes eingesetzt, sondern deutlich früher: mit den Gründungen des Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) Mitte der 1970er‑Jahre und der Solidarnosc nach der Streikwelle 1980. Damit „leitete [Polen] als erster sowjetischer Satellitenstaat einen Demokratisierungsprozess ein“ (53). Interessant ist nun, dass die Zivilgesellschaft nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft „als Mitgestalterin neuer Institutionen an Bedeutung verlor“ (55). Bloom erklärt dies nicht nur damit, dass die Solidarnosc ursprünglich den Sozialismus reformieren wollte und dafür die breite Unterstützung der Bevölkerung erfahren hatte. Ein wesentliches Moment scheint die nachwirkende historische Erfahrung zu sein, dass der Staat – der als eigener lange nicht existierte, sondern anderen Mächten „gehörte“ – von der Gesellschaft als fremd empfunden wird. Für die polnischen Bürgerinnen und Bürger bestand die Freiheit nach dem Umbruch deshalb vor allem darin, nicht mehr zwangsweise Mitglied in einer Massenorganisation sein zu müssen und sich ins Private zurückziehen zu können. Bloom zeigt zwar, dass das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements in Polen im Vergleich zu anderen Transformationsstaaten durchaus relativ groß ist. Bei näherer Betrachtung fallen aber schwache Mitgliederzahlen und eine geringe finanzielle Ausstattung der Organisationen auf, die sich vornehmlich auf nichtpolitische Bereiche (wie den Sport) konzentrieren. Dennoch verfügt die Gesellschaft über die Kraft, sich zu engagieren, wenn der Staat die demokratischen Grundsätze infrage stellt – die Autorin zeigt dies am Beispiel der staatlichen Diskriminierung Homosexueller und der Proteste dagegen. Die Frage der Frauenemanzipation ist dagegen von der Gesellschaft noch nicht beantwortet worden. Ein bemerkenswertes Detail ist schließlich die Beobachtung Blooms, dass der Grad des zivilgesellschaftlichen Engagements in den Gebieten höher ist, die früher zu Deutschland oder Österreich‑Ungarn und nicht zu Kongresspolen gehörten – dies könnte ein Hinweis auf tiefe Prägungen einer politisch‑kulturellen Identität sein, deren Ursprünge weit in die Zeit vor dem Kommunismus zurückreichen.
{NW}
Rubrizierung: 2.612.22.222.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Aurica Bloom: Die Zivilgesellschaft Polens. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/36971-die-zivilgesellschaft-polens_39791, veröffentlicht am 17.04.2014. Buch-Nr.: 39791 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken