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Harry Waibel

Diener vieler Herren. Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2011; 390 S.; geb., 49,80 €; ISBN 978-3-631-63542-1
Der staatlich verordnete Antifaschismus als eines der wichtigsten herrschaftslegitimatorischen Instrumente der DDR-Führung hat lange den Blick darauf verstellt, dass nicht nur in der Bundesrepublik zahllose NS-Funktionäre ihre Karrieren nahezu unbehelligt fortsetzen konnten. Auch für den ostdeutschen Teilstaat finden sich personelle Kontinuitäten. Waibels Zusammenstellung bildet eine überfällige und wichtige Ergänzung zu Ernst Klees „Personenlexikon zum Dritten Reich“ (siehe Buch-Nr. 22923). Wie Klee ist auch Waibel kein Angehöriger des akademischen Betriebs, wenngleich im Gegensatz zu Ersterem promovierter Historiker. In einer kurzen programmatischen Einführung stellt er heraus, dass einerseits die Durchdringung von Führungspositionen in der Bundesrepublik mit NS-Kadern von der DDR-Regierung propagandistisch lautstark betont, analoge Prozesse im eigenen Land jedoch tabuisiert und verschwiegen wurden (siehe dazu auch Buch-Nr. 8269). Die Betrachtung des Nationalsozialismus unter ideologisierten Vorzeichen verhinderte somit eine wirkliche Aufarbeitung der NS-Diktatur. Auf der anderen Seite kann sich Waibel, der u. a. zuletzt mehrfach als Autor für die linksradikale Wochenzeitung „Jungle World“ tätig war, ein Nachtreten gegen das vorgebliche Schweigekartell der (west-)deutschen Historiker nicht verkneifen. Natürlich ist ein vielfaches Verschweigen und Verdrängen eigener Verwicklungen unbestreitbar. Das gesamte Fach jedoch als „diskreditiert“ zu bezeichnen, scheint überzogen. Der lexikalische Teil versammelt auf der Basis umfangreicher Archiv- und Literaturrecherchen ca. 1.500 Kurzbiografien, die nach den Aufnahmekriterien „Geburtsjahrgänge von ca. 1880 bis ca. 1925, […] berufliche Aktivitäten und politische Mitgliedschaften während des NS-Faschismus und in der SBZ/DDR“ (12) erstellt wurden. Bloße Mitgliedschaften allein reichen für die endgültige Einschätzung einer Person nun freilich nicht aus, bestimmte Tendenzen lassen sich aber in jedem Fall feststellen. Es ist zu wünschen, dass die umfangreiche Materialsammlung zu weiteren Forschungen anregt.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Harry Waibel: Diener vieler Herren. Frankfurt a. M. u. a.: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34798-diener-vieler-herren_41834, veröffentlicht am 12.04.2012. Buch-Nr.: 41834 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken